21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
O Effendi, es ist mir unmöglich, dir zu sagen, wie groß das Glück ist, welches uns dein Kommen bringt! Ingdscha, warum stehst du noch dort? Wie oft hast du still an ihn gedacht und laut von ihm gesprochen! Und nun er da ist, stehst du von fern und scheinst ihn nicht zu kennen!“
Ingdscha! Ja, sie war es, die schöne Tochter Nedschir-Beys, des Raïs von Schohrd, der damals mein Freund wurde, nachdem er vorher mein Feind gewesen war. Man sah es ihr nicht an, daß Jahre vergangen waren, seit wir uns nicht gesehen hatten. Sie stand neben Halef ganz in derselben schüchternen Haltung, wie ich sie bei unserm ersten Zusammentreffen gesehen hatte, auch mit derselben Röte der Befangenheit auf ihren weichen, bräunlichen Wangen. Auch sie trug ein ganz ärmliches Gewand, wohl mit eine Ursache ihrer augenblicklichen Verlegenheit, aber trotzdem hätte ihr auch einer, der sie nicht kannte, angesehen, daß sie nicht gewohnt sei, sich in dieser Weise zu kleiden. Sie, die schöne, wohlhabende Chaldäerin, mußte einen ganz besonderen Grund haben, eine solche Tracht anzulegen. Sie blieb, ohne auf die Worte der Alten zu achten, stehen, als ob sie keinen Fuß bewegen könne. Ich ging zu ihr hin, nahm ihre Hände in die meinigen und sagte:
„Sei mir gegrüßt, du liebe Freundin aus vergangener, schöner Zeit! Auch ich habe eurer gedacht und bin so froh, daß ich euch wiedersehe. Warum sprichst du nicht? Freust du dich denn nicht auch?“
Da vertiefte sich die Röte ihrer Wangen; sie senkte, vergeblich nach Worten suchend, die Augen und begann dann, still vor sich hin zu weinen. Ich war tief gerührt; der Hadschi auch. Nur konnte er seine Rührung nicht so wie ich beherrschen; er mußte ihr in seiner Weise Luft machen und sprach also:
„Warum habt ihr euch doch umgedreht! Dieser Effendi mit dem ganz vergeblich langen Verstand hätte nicht eher erfahren, wer ihr seid, als bis er es erraten hätte, und wenn er gezwungen gewesen wäre, mit euch zehntausend Jahre lang hier in Gedanken stehen zu bleiben! Nun aber ist das ganze schöne Geheimnis verraten, und ihr habt mich um das Glück gebracht, etwas zu wissen, was er trotz all seiner unnützen Einsicht nicht begreifen konnte! Nun lacht Madana, während Ingdscha weint! Folglich muß nun auch einer von uns beiden weinen, und der andere lacht. Aber warum soll ein Quell der Tränen fließen, während wir doch nichts als Freude fühlen? Ich sehe nicht ein, warum – – – Sihdi, drehe dich um!“
„Warum?“ fragte ich, obgleich ich wohl sah, daß er sich vergeblich bemühte, die Tränen, welche in sein Auge traten, zurückzuhalten.
„Ich sage: Drehe dich um!“ schrie er mich an. „Du brauchst nicht zu wissen, daß Hadschi Halef Omar, der oberste Scheik der Haddedihn, eine Freundin nicht weinen sehen kann, ohne sofort mitzutun! Also hinum mit dir, sonst reite ich fort, und du bekommst mich nie wieder vor die Augen!“
Ich drehte mich also um und sah nun, daß die Hamawands von der Talwand herunterkamen. Sie hatten nicht länger warten wollen, weil sie neugierig waren, die Gründe unsers ihnen unbegreiflichen Verhaltens kennenzulernen.
„Siehst du, daß ich recht gehabt habe?“ sagte Adsy, indem er auf die Körbe deutete. „Ich sagte wohl, daß Galläpfel drin sein würden!“
„Und ich hatte auch recht“, antwortete ich. „Diese Frauen sind keine Galläpfelsammlerinnen.“
„Ihr scheint sie zu kennen?“
„Ja; sie sind Freundinnen von uns, die zwischen den Bergen des oberen Zab ihre Heimat haben.“
„Warum kommen sie von da oben herunter?“
Da nahm, ehe ich antworten konnte, Madana das Wort:
„Das ist es ja, was ich euch vor allen Dingen sagen muß! Wie freue, freue, freue ich mich, daß wir euch getroffen haben! Nicht nur, weil wir euch lieben, sondern auch weil es ist, als hätte euch Gott geschickt, uns zu helfen! Ihr wundert euch gewiß darüber, daß wir uns so weit von unseren Wohnungen entfernt haben und daß ihr uns als Sammlerinnen seht, was wir doch gar nicht sind!“
„Es muß ein sehr wichtiger Grund sein, der euch, besonders Ingdscha, dazu bewogen hat!“ sagte ich.
„Ja, ein sehr wichtiger Grund“, nickte sie. „Wie werdet ihr erschrecken, wenn ich ihn euch sage!“
„Wir erschrecken nicht, denn wir kennen ihn schon.“
„Schon? Wo kommt ihr her?“
„Aus Persien herab.“
„So ist es unmöglich, daß ihr ihn kennt!“
„Und ich sage dir dennoch, er ist uns nicht nur bekannt, sondern wir wollen sogar zu der, um derentwillen
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