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21 - Im Reiche des silbernen Löwen II

21 - Im Reiche des silbernen Löwen II

Titel: 21 - Im Reiche des silbernen Löwen II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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als ich. Anstatt nun zu warten, bis ich käme, sprang er unter den Bäumen hervor und auf die Frauen zu, mit dem hoch erhobenen Messer in der Hand. Ich sah das und beeilte mich möglichst, um die Flucht nach der anderen Seite zu verhüten, bemerkte aber bald, daß dies nicht nötig war, denn die Frauen waren zwar aufgesprungen, bewegten sich aber vor Schreck, wie ich dachte, keinen einzigen Schritt vorwärts.
    Zu meiner Verwunderung stand Halef ebenso starr wie sie. Die Hand mit dem Messer drohend erhoben, machte er nicht die geringste Bewegung. Dann aber, als er mich kommen sah, rief er mir mit schallender Stimme entgegen:
    „Sihdi, komm, komm, komm! Geschwind, rasch, schnell!“
    Aber gleich hierauf winkte er mir mit beiden Armen ab und schrie mich aus Leibeskräften an:
    „Halt, halt, halt! Bleib stehen! Nicht weiter, ja nicht weiter, keinen Schritt weiter, keinen einzigen!“
    Da blieb ich also stehen, denn wenn er dies von mir verlangte, mußte er überzeugt sein, daß die beiden Frauen uns gewiß nicht davonlaufen würden. Aber neugierig war ich, weshalb ich erst so schnell kommen und dann aber so plötzlich stehen bleiben sollte. Es handelte sich jedenfalls um eine Überraschung, aber um welche?
    „Sihdi“, fuhr er nun fort, indem sein Gesicht glänzte und seine Augen vor Freude strahlten, „du kannst gut raten, weil dein Verstand so in die Länge gezogen ist. Ich fordere dich auf, jetzt einmal nachzudenken!“
    „Worüber?“ fragte ich.
    Anstatt mir gleich zu antworten, schrie er die Frauen an, welche Miene machten, sich nach mir umzusehen:
    „Halt! Nicht umdrehen, nicht umdrehen! Er darf eure Gesichter nicht sehen. Schaut ihn ja nicht an, wenn ihr mir nicht die Wonne dieses Augenblicks ganz und gar verderben wollt! Ich bitte euch, rührt euch ja nicht!“
    Und sich mir nun wieder zuwendend, gab er mir lachend die Auskunft: „Worüber du nachdenken sollst? Natürlich darüber, wer diese beiden Frauen sind!“
    „Dieses Nachdenken würde zu nichts führen, da ich ja gar keinen Anhalt habe.“
    „Keinen Anhalt? O Sihdi, wie du doch nur so reden kannst! Keinen Anhalt! Hier stehe ich, dein berühmter Begleiter und Beschützer. Bin ich kein Anhalt für dich?“
    „Bist du es denn, über den ich nachdenken soll?“
    „Nein, denn du würdest trotz aller Anstrengung deiner Geisteskräfte doch nicht dazu kommen, die Höhe meines Wertes und die Tiefe meiner Weisheit zu ermessen. Aber über diese beiden Frauen sollst du nachdenken, wie ich dir ja schon ganz deutlich gesagt habe!“
    „Ich soll also raten, wer sie sind?“
    „Jaja, jaja! Sag es doch nur, schnell, schnell!“
    Er hatte gut reden, denn er hatte ihre Gesichter vor sich; ich aber sah von ihnen nur den hintern Teil der ärmlichen Gewänder, welche so weit und faltig waren, daß sie nicht einmal die Umrisse der Gestalten erkennen ließen. Darum konnte ich nichts anderes sagen als: „Ich kann es nicht erraten, wenn du mir keinen Fingerzeig, keinen Anknüpfungspunkt gibst.“
    „Fingerzeig? Allah akbar! Da stehe ich doch und zeige mit allen zehn Fingern auf sie! Ist das etwa noch nicht genug? Und Anknüpfungspunkt? Es stehen dir doch alle möglichen hiesigen Punkte zur Verfügung, daß du sie entweder zusammen- oder aneinanderknüpfen kannst! Und da behauptest du, daß sie dir fehlen!“
    Er wollte noch mehr sagen, wurde aber von der einen Frau unterbrochen. Ich hörte sie sagen:
    „Du bist Hadschi Halef Omar, den wir liebgewonnen haben. Ich habe dich sogleich wiedererkannt. Wer aber ist der Sihdi, mit welchem du sprichst und den wir nicht anschauen sollen?“
    „Rate du auch einmal!“
    „Welche Wonne, welche Seligkeit, wenn es der wäre, an den ich denke!“
    „Nun, an wen denkst du?“
    „Ist es etwa der gute Effendi aus Dschermanistan, als dessen Begleiter du damals bei uns warst?“
    „Ja, der ist's. Du hast es erraten.“
    „Und da verlangst du von mir, daß ich ihn nicht ansehen soll? Bist du von Sinnen? Bist du denn ganz und gar verrückt? Meine Seele hat sich nach ihm gesehnt ohne Unterlaß, wie das Mehl sich nach dem Wasser sehnt, um mit ihm in Teig verwandelt zu werden, und nun mir dieser heiße Wunsch in Erfüllung geht, soll ich meine Augen nicht aufschlagen zu dem, den meine Seele liebt! Ich drehe mich um!“
    Ihre Stimme klang außerordentlich energisch. Ebenso war auch der Ruck, mit welchem sie sich dann zu mir herumschwenkte. Ich erblickte sie; ich sah ihr Gesicht, und in demselben Momente stiegen alle jene Erinnerungen

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