2110 - Der Gute Geist von Wassermal
Deshalb stockte mir in der ersten Überraschung der Atem, als ich den ehemaligen Krieger ganz unten am Fuß der Geröllhalde liegen sah: mit verdrehten Armen und Beinen und völlig reglos.
War er tot?
Wohl kaum. Wahrscheinlich hatte er einen mächtigen Anlauf genommen, war vielleicht zehn oder zwanzig Meter weit hochgestürmt, hatte dann jedoch eine Geröll-Lawine ausgelöst und war mit ihr hinabgedonnert. Das Geröll war verstreut ringsum zu sehen.
Pech für ihn, Glück für mich.
Diesmal schwieg mein Extrasinn. Was hätte er auch sagen sollen? Sershan war entweder tot - oder er hatte den Sturz überlebt. Ich konnte das Schicksal nicht nachträglich beeinflussen.
Aber für den Fall, dass er noch lebte und sich schnell erholte, sollte ich mich beeilen. Ich drehte mich um und begann den Aufstieg.
*
Die Kletterei war schwieriger als erwartet. Es war ein wahrer Wall aus kiefernähnlichen Bäumen, der sich mir entgegenstellte. Seine Zweige waren dicht mit stacheligen Nadeln besetzt, und sie begannen so tief am Boden, dass ich nicht unter ihnen hindurchschlüpfen konnte.
Ich zwängte mich quälend langsam durch das Gewirr von Zweigen. Von oben rieselten der Staub verdorrter Zweige und trockene Nadeln auf mich herab, meine Hände und mein Gesicht wurden zerkratzt, mein Haar war verdreckt und verklebt. Immer wieder stolperte ich über aus dem Boden ragende Wurzeln und trat so unverhofft in Bodenvertiefungen, dass meine Fuß- und Kniegelenke zu schmerzen begannen.
Als ich nach ungefähr dreißig Minuten auf eine kleine Lichtung taumelte, war ich erleichtert, aber auch erschöpft.
Ich blieb nach ein paar Schritten stehen und sah mich aufmerksam um.
Die fast kreisrunde Lichtung durchmaß nur etwa zehn Meter und endete auf der gegenüberliegenden Seite an einem Felshang, der teilweise mit Sträuchern bewachsen war.
Und mitten in dem Hang klaffte ein mannshohes Loch.
Als ich genauer hinsah, merkte ich, dass der Rand des Loches gemauert war und dass die Schienen einer Schmalspurbahn, die auf der Lichtung fast gänzlich überwachsen waren, durch das Loch in den Berg hineinführten.
Außerdem lagen lose Metallteile auf der Lichtung herum.
Es schien sich hier um den Eingang eines alten Bergwerks zu handeln, eines sehr alten Bergwerks, denn die Schienen verrieten, dass hier Loren geschoben worden waren, anstatt auf Prallfeldern dahinzugleiten.
Neugierig und zugleich skeptisch trat ich näher: neugierig, weil ich herausfinden wollte, ob dieses alte Bergwerk für Sershan und mich als weiterer Prüfstein gedacht war - und skeptisch, weil es wenig Sinn machen würde, sich ohne Lampe durch Bergwerksstollen zu tasten.
Ich erlebte eine Überraschung. Kaum war ich ein paar Schritte in den Stollen gegangen und hatten sich meine Augen an die minimale Helligkeit gewöhnt, entdeckte ich auf einer verwitterten Steinbank zur Rechten eine Reihe von kleinen, primitiven Öllampen, wie ich sie im Mittelalter der terranischen Menschheit kennen gelernt hatte.
Ich nahm die erste der Lampen in die Hand. Es handelte sich um eine typische Grubenlampe mit relativ kleinem Ölbehälter mit Dochtführung, einem verschraubten Scharnier, einem Tragebügel mit eingravierten gekreuzten Hämmern und einer handgeflochtenen Drahtkette für den Dochtstift.
Als ich die Lampe bewegte, merkte ich, dass sie mit einer Flüssigkeit gefüllt war. Ich roch daran: Öl.
Da zwischen den Lampen einige Feuerzeuge mit Feuerstein lagen, stellte ich die Lampe waagerecht auf die Bank, schraubte den Docht heraus, überzeugte mich davon, dass er nass war, nahm ein Feuerzeug und schlug eine Weile Funken, die schließlich auf den Docht übersprangen und ihn entzündeten. Nachdem ich ihn bis auf zwei Millimeter zurückgedreht hatte, damit die Flamme nicht rußte, überzeugte ich mich davon, dass das Gehänge fest angebracht war, dann hob ich die Lampe daran hoch und ging in den Stollen hinein.
Gern hätte ich eines der Feuerzeuge mitgenommen, aber sie waren allesamt so fest angekettet, dass sie beim Versuch, sie loszureißen, kaputtgegangen wären.
Ich war mir jetzt ganz sicher, dass innerhalb des Bergwerks eine weitere Prüfung auf mich und meinen Gegenspieler wartete, sonst hätten keine brauchbaren Lampen bereitgestanden.
Ob der Krieger wohl seinen Sturz überstanden hat und mir folgt?
Kaum hatte ich das gedacht, hörte ich ein Scheppern, gefolgt von Verwünschungen. Dieser Kerl war mir also viel dichter auf den Pelz gerückt, als ich mir vorgestellt
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