2119 - Der letzte Sturm
der Unterstand den Böen noch trotzen konnte. An Land hatte er so ein Unwetter noch nie erlebt. Blitze zuckten herab.
„Da!", rief Ailey aus und zeigte nach Osten.
Ein altes Einkörper-Luftschiff, etwa so groß wie die RIGO, war vom Blitz getroffen worden und ging in Flammen auf, die auch der Regen nicht löschen konnte. Als die Löschmannschaften sich durch das Wetter kämpften, war es ausgebrannt.
Die ganze Zeit über schon spielten Eshmatays Stachelhaare verrückt. Sie reagierten jetzt nicht mehr nur auf Hyperphänomene, sondern noch auf etwas anderes. Eshmatay fühlte es. Es bereitete ihm Schmerzen.
Während er auf. das ausgebrannte Wrack starrte, verschwamm die Umgebung plötzlich vor seinen Augen. Statt des Betonbodens und der geparkten Luftschiffe sah er für Sekunden einen Park mit hohen Bäumen, von einer Sonne beschienen, die der alte Kapitän höchstens dreimal in seinem Leben gesehen hatte, wenn die allgegenwärtige Wolkenschicht um den Planeten einmal aufriss. Aber das war äußerst selten und wurde von der Bevölkerung als Naturwunder gefeiert.
Der Spuk verschwand wieder, ohne eine Spur zu hinterlassen. „Es ist... es ist wie auf Sikma!", stieß Ailey hervor.
„Und wie in der Tiefsee nahe den Schürfgründen des Yddith-Erzes", sagte Eshmatay. „Die Prospektoren berichten davon. Verschiebungen der Realität..."
Was kündigte sich hier an? Der Kontinent Kaza war noch nie solchen Phänomenen ausgesetzt gewesen. Eshmatay schauderte. Er musste an Rishtyn-Jaffami denken, das sterbende Plasmawesen.
War dies sein Werk? Waren es die Begleitumstände seines Sterbens? Wie schlimm würde es dann noch werden?
Anguela!, dachte Eshmatay Amgen. Wann endlich holst du mich zu dir? MUSS ich das alles noch erleben?
Oder musste er auf den letzten Sturm warten? War er das? War das der Anfang? Wieder einmal?
Der Hunger wühlte in seinen Gedärmen, aber selbst wenn er noch Sumbai gehabt hätte, hätte er es nicht angerührt. Ihm war übel. Wieder hatte er das Fahrstuhl-Gefühl im Kopf. Er wollte sterben. Er hatte alles geregelt, was es zu regeln gab. Es war ihm bestimmt zu sterben.
Ein Donnerschlag ließ die Luft erzittern. Mehrere Blitze hintereinander schlugen in den Boden ein und vollführten einen gespenstischen Tanz in der Luft. Der dunkle Himmel riss auf, und die Sonne schien!
Es gab einen Regenbogen, der sich blutrot färbte, als auch die Sonne rot wurde und heftige Protuberanzen von sich schleuderte. Rote Flecken erschienen überall am Himmel, wuchsen und zerplatzten, und ein goldener Funkenregen mischte sich in den Hagel.
Die Wolkendecke schloß sich, und wieder wich die vertraute Umgebung einer anderen. Schlanke Türme ragten in die Luft, dort, wo Shinkasber lag. Es war trocken und windstill. Silberne Flugfahrzeuge schwebten zwischen den Türmen ...
Und dann wieder das Unwetter, die Realität. Oder war es nur eine Scheinrealität, in der die Bewohner von Linckx lebten, und die wahre Wirklichkeit war die der Bewohner einer der parallelen Dimensionen?
„Ich werde noch verrückt", klagte Eshmatay Amgen. „Sie sind alle real. Für ihre Bewohner sind sie alle wirklich. Es muss unzählige von ihnen geben."
„Wovon sprichst du, Chef?", fragte Ailey. „Ich verstehe dich nicht."
„Das kannst du auch nicht. Dazu ist dein Gehirn zu klein", sagte der alte Fährmann. „Aber dafür kannst du ja nichts."
Der Maschinist schwieg beleidigt. Eshmatay war das recht. Er hing seinen eigenen, trüben Gedanken nach. Er fühlte sich unendlich schlaff. Es musste doch bald mit ihm zu Ende gehen!
Plötzlich sah er, dass Cip mit seinen Turnübungen auf dem Kartentisch aufgehört hatte. Er hockte da wie erstarrt. Viel schlimmer aber war, dass sein Fell jetzt schneeweiß geworden war. Heller ging es überhaupt nicht mehr.
„Ailey", sagte der alte Fährmann. „Sieh her!"
„Ich kann jetzt nicht, Chef", antwortete Ailey. „Dreh dich um! Schau aus dem Fenster, hinauf in den Himmel..."
Eshmatay Amgen tat es. Und dann sah er es selbst.
Doppelluftschiffe, eins nach dem anderen. Es mussten einige Dutzend sein, und sie zogen am Himmel über Kaza hinweg, schweigend und majestätisch. Das Unwetter hatte für einen Moment aufgehört, der Himmel hatte teilweise aufgeklart. Er hatte freie Sicht.
Doch als Eshmatay Amgen genauer hinblickte, erkannte er seinen schrecklichen Irrtum.
Die vermeintlichen Luftschiffe wurden größer, viel größer, und Eshmatay Amgen begriff, dass der erste Eindruck ihn getäuscht hatte. Dies
Weitere Kostenlose Bücher