212 - Das Skelett (German Edition)
geisteskrank?«
Ich trug es immer lauter werdend vor.
E r lächelte mich weiter nur seltsam an und erzählte mir dann seine halbe, aber äußerst interessante Lebensgeschichte.
Mir schlotterten die Knie, ich bekam Angst und wünschte mich an einem anderen Ort.
Wo nur lag der entfernteste Punkt von Griechenland?
Bei Artjom schwang immer eine unterschwellige Gewaltbereitschaft mit, ich konnte ihn nicht richtig einordnen. Seine ruhige Art war gewollt und antrainiert. Mir kam es so vor, als wenn er jeden Moment wie eine Sojusrakete hochgehen könnte. Er musste Jahre gebraucht haben, um sein anderes Naturell zu besiegen.
Ich hoffte jetzt schon, seine aufbrausende Seite nie kennenzulernen. Vielleicht lag es auch daran, dass es in meinem bisherigen Umfeld niemanden gab, der auch nur im Entferntesten auf seiner Wellenlänge lag. Ich kannte keinen Verbrecher, niemanden, der einen anderen totgeschlagen hatte!
Artjom antwortete sehr direkt:
»Es kommt immer auf die Betrachtungsweise an. Geisteskrank? Ich denke nicht, ich bin eher leidenschaftlich und nicht langweilig.
Mein Leben verlief anders als d eins. Ich wuchs in ärmlichen Verhältnissen am Rande von Moskau auf. Wir hatten nicht viel bis gar nichts. Dennoch hatte ich liebevolle Eltern, mein Vater konnte mir nicht viel mit auf den Weg geben. Aber dieser eine Spruch von ihm vereint alles Wichtige in sich:
„Du wirst im Leben mit Brachialgewalt aus sämtlichen Verankerungen gerissen und auf den Boden geschmissen. Aber du hast immer die Wahl , aufzustehen oder liegen zu bleiben!“
Ich habe es vorgezogen , immer wieder aufzustehen. Ohne einen guten Status und ohne große Bildung verrannen meine Jahre.
Bis zu meinem achtzehnten Lebensjahr habe ich mich nur mit erbärmlichen Jobs über Wasser gehalten. Es hat mir nicht viel ausgemacht, weil ich nichts anderes kannte. Dann kam ich zur Armee, dort wurde es erträglicher, zuweilen. Ich hatte zumindest immer vernünftige Kleidung, etwas zu essen und ein Dach über dem Kopf, Ordnung und Regeln. Aber auch bei uns in der damaligen Sowjetunion war es nicht anders als sonst wo auf der Welt.
Die Oberen halten die Unteren schön klein. Ich konnte aufgrund meines Schulabschlusses keine Offizierslaufbahn einschlagen, also war es fast unmöglich, hier Karriere zu machen. Meine Familie hatte keine guten Beziehungen zur Partei, dann wäre es natürlich auch gegangen. Was sollte ich nach meiner Dienstzeit anstellen? Diese Frage teilte ich mit vielen Tausend anderen. In solch einem Dunstkreis werden Freundschaften fürs Leben geschlossen. Das schweißt wirklich zusammen. Ich weiß nicht, ob ich heute überhaupt noch leben würde, wenn mein Freund Michail nicht gewesen wäre.
Aber das ist eine andere Geschichte. Ich war auch in keiner Eliteeinheit, wo Einzelne später gern von Sicherheitsfirmen übernommen wurden.
Nein, wegen meiner handwerklichen Fähigkeiten machten sie aus mir eine Art Mechani ker für alles.
Panzer, Selbstfahrlafetten , Lkws, Kräder, Pkws. Ich nahm alles auseinander und konnte es doch irgendwie wieder zusammenschrauben. Ich war und bin ein Improvisationskünstler. Mein Ruf, Ersatzteile zu beschaffen, war sicherlich schon damals legendär.
Ich tauschte Metall gegen Fleisch und dieses gegen Wodka. Durch diese Umverteilungen und Tauschgeschäfte wurde ich immer beliebter und auch selbstbewusster. Bei meinen Leuten sowieso, später auch bei den armen Säcken in der DDR. Durch diese Kontakte lernte ich so ganz nebenbei Deutsch sprechen. So blieb ich beim Militär, mein Sold war zwar mickrig, aber was erwartete mich denn zu Hause?
Ich wurde auch von Offizieren nicht mehr gegängelt, da ich wohl für sie und die Einheit zu wichtig war. Diese Drecksäcke lebten wie unsere alten Zaren, selbst in Zeiten des Kalten Krieges. Aber auch dies ist eine andere Geschichte!
D as interessierte mich damals nicht wirklich, ich war genügsam. 1981 kam ich dann nach Neustrelitz, zur 16. Garde-Panzerdivision. Dort lernte ich einen Mann kennen, der mich prägte, leider musste ich ihn später töten. Er war übrigens der Erste. Sein Name war Igor, er erkannte mein eigentliches Talent und förderte es.
Finden, was gerade benötigt wird, irgendwie herankarren und Interessen zusammenführen, sodass beide Seiten einen gefühlten Vorteil haben. Das war meine kaufmännische Ausbildung mit gleichzeitigem Psychologiestudium.
Ich glaube , auf der Welt gibt es keinen Kaufmann mit Diplom, der vom Handel mehr versteht als ich. Kein
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