213 - Aruulas Grab
Kerl, der sie für eine der Liebesdienerinnen hielt und ihr ins Gesäß kniff, rammte sie wie unabsichtlich den Ellenbogen vor das Brustbein. Gurgelnd knickte er ein. Die Kriegerin stürmte die Treppe hoch und bog um eine Ecke. Sie sah, dass Grao vor einer Tür Wache stand.
Aruula vertraute auf ihre Tarnung und schwebte mit leichten Schritten dem Daa’muren entgegen. Der hielt sie für eine der Liebesdienerinnen und sah ihr abwartend entgegen. Als Aruula plötzlich vorsprang und sich gegen ihn warf, konnte er nicht mehr reagieren. Mitsamt der Türe und der verschleierten Frau auf seiner Brust stürzte er rücklings ins Zimmer.
Während Grao noch wie ein Käfer auf dem Rücken strampelte, sprang Aruula hoch – und schrie empört auf.
Die Liebesdienerin saß nackt auf einer Schaukel aus Riemen. Ihre gespreizten, angehobenen Beine hingen in Schlaufen und umschlangen den nur in einer Hose dastehenden Daa’tan. Beide waren viel zu schockiert, um zu reagieren.
Mit einer ausholenden Armbewegung entledigte sich Aruula ihrer Schleier und zog mit der Rechten das Schwert aus der Rückenkralle. Es sauste über Daa’tans Kopf hinweg und zerschnitt die Riemen der Schaukel. Das Mädchen rutschte ab, prallte auf ihr Steißbein und begann schrill zu schreien. Rasch beugte Aruula sich hinunter und verpasste der Liebesdienerin einen wohl dosierten Fausthieb gegen die Schläfe. Schlaff fiel sie in sich zusammen.
Daa’tan, der erst jetzt wirklich begriff, wer da so unvermittelt aufgetaucht war, zog den Hals ein. »M-Mutter?«, fragte er.
»Ja, Mutter«, zischte Aruula und schob das Schwert in die Rückenkralle zurück. »Zieh dich wieder an, Daa’tan. Wir verlassen dieses Haus Orguudoos auf der Stelle!«
»Aber…«
»Kein aber. Du kommst sofort mit, oder ich verdresche dich mit der flachen Schwertklinge.« (Die Erziehungsmethoden einer postapokalyptischen Zukunft können von denen einer
»Supernanny« in Details abweichen)
Unter normalen Umständen hätte sich Daa’tan diesen Ton kaum gefallen lassen, ohne Widerworte zu geben. Aber im Moment war er viel zu durcheinander. So zog er sich hastig sein Hemd über und verließ mit Aruula das Zimmer. Grao, längst wieder auf den Beinen, ließ die beiden wortlos an sich vorbei.
»Und mit dir rede ich auch noch ein Wörtchen«, fuhr ihn Aruula an.
Ein Wächter, der die Schreie des Mädchens vernommen hatte, stellte sich den Dreien in den Weg, die Hand drohend auf den Krummsäbel gelegt. »Was ist hier los?«, fragte er.
Doch er erwischte Aruula in der denkbar schlechtesten Stimmung und achtete zudem mehr auf die beiden Männer als auf sie. Die Kriegerin trat ihm zwischen die Beine. Der Wächter stöhnte, verdrehte die Augen und knickte ein. Aruula beachtete ihn nicht weiter und lotste ihren Sohn auf dem schnellsten Weg aus der Nackttanzstätte, bevor es weitere Unannehmlichkeiten gab oder gar die Basaarwache erschien.
Erst nach zehn Minuten – sie waren auf dem Weg zurück in die Herberge – überwand Daa’tan seine Scham. »Warum bist du mir überhaupt gefolgt, Mutter?«, fragte er. »Und warum hast du uns unterbrochen? So weit ich weiß, ist das Zusammensein zwischen Mann und Frau die schönste Sache der Welt!«
Aruula blieb stehen und stemmte die Fäuste in die Hüften.
»Du bist noch kein Mann, auch wenn du schon so aussiehst. Es ist noch keine vier Jahre her, seit… seit ich dich geboren habe!« Ihr Blick irrte kurz zu Grao’sil’aana, und erneut kochte die Wut in ihr hoch. Die Daa’muren hatten damals das ungeborene Kind aus ihrem Leib geraubt; das würde sie ihnen niemals vergeben. »Außerdem geben dir diese Weiber keine Liebe. Sie sind falsche Snaaks, die vor allem dein Geld wollen. Sei froh, dass ich dich vor ihnen beschützt habe.«
»Du wirst bis in alle Zeit ihr kleiner Junge sein, den sie vor allen Gefahren beschützen muss«, ließ sich Grao vernehmen.
»Bei ihr wirst du niemals selbstständig und ein richtiger Mann, Daa’tan.«
Aruula wollte schon erbost auffahren, da kam eine überraschende Antwort ihres Sohnes.
»Lass meine Mutter in Ruhe!«, forderte er, und auf seiner Stirn erschien eine steile Zornesfalte. »Sie weiß, was gut für mich ist, und ich glaube und vertraue ihr!«
Aruula fehlten vor Rührung die Worte. Denn seine Antwort bewies, dass die Menschlichkeit auch durch die Erziehung der Daa’muren nicht ganz in ihm verkümmert war.
Es gab Hoffnung, ihn zu retten. Was konnte schöner sein?
***
El Assud, 5. Februar 2524
Während
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