2132 - Der Saltansprecher
dass ich einem Henker niemals zugestimmt hätte. „Knie nieder!", sagte er leise zu Tieger. Der junge Mann folgte wortlos seinem Befehl. Olibec räusperte sich. „Willst du der Urteilsverkündung beiwohnen?" Pernaq neigte den Kopf. „Wenn du es erlaubst, möchte ich für Tieger sprechen."„Das wird nicht nötig sein. Uns liegen alle Beweise vor. Eine Befragung des Angeklagten ist Zeitverschwendung." Die anderen Mönche gaben ihre Zustimmung durch Gesten zu verstehen. Pernaq legte Tieger die Hand auf die Schulter. „Er hat das Recht, gehört zu werden", sagte er. „So schreiben es die Gesetze vor, und die stehen über dem Komitee."
Jetzt riss Gajan das Wort an sich. „Es gibt eine Ausnahme. Wenn das Verbrechen klar bewiesen und so schändlich ist, dass es die Ehre des Komitees besudeln würde, auch nur ein Wort darüber zu vernehmen, kann man die Befragung ausfallen lassen."
„Was ist denn daran schändlich, den eigenen Sohn beschützen zu wollen?"
„Dieser Sohn bringt Schande über ihn. Er ist der lebende Beweis für seinen Ungehorsam."Pernaq spürte, wie Tieger unter seinem Griff zu zittern begann. Er wusste nicht, ob es Wut war oder ob die Angst ihn doch eingeholt hatte. „Glaubst du wirklich, dass Tieger begreift, was er getan hat?", fragte er. „Das ist doch ..."
„Er hat gelernt zu gehorchen", unterbrach ihn Olibec. „Das Begreifen eines Befehls ist keine Voraussetzung für die Ausführung. Er wusste, dass es verboten ist, aber anstatt reumütig um Vergebung zu bitten, hat er uns angegriffen. Das muss bestraft werden." Er hob die Arme, signalisierte damit, dass die Diskussion vorüber und die Zeit der Verkündung gekommen war. Die anderen Mönche folgten seinem Beispiel. „Im Namen der Pangalaktischen Statistiker, deren Weisheit unendlich und deren Güte groß ist, verkünde ich, was mit dem Angeklagten Tieger zu geschehen hat. Wir haben lange darüber nachgedacht. Es erscheint uns falsch, seinen Kopf zu fordern, denn er besitzt keine Klugheit. Auch sein Herz wollen wir nicht nehmen, denn es ist verdorben und würde mit seinem Gestank unsere Nasen beleidigen. Also nehmen wir, was ihm Stärke gibt und was er gegen uns aus Wut erhoben hat: seine Hände."
„Was?" Pernaq behielt nur mühsam die Fassung. Der Henker verneigte sich tief vor dem Komitee und stand auf. Mehrere bewaffnete Mönche, die er vorher nicht bemerkt hatte, traten aus den Schatten hervor. Zwei von ihnen trugen einen Richtblock zwischen sich, ein dritter breitete eine Plane aus.
Tieger sah aus seiner knienden Position zu Pernaq auf. „Wann soll ich sagen, dass ich meinen Sohn liebe?"
„Nicht jetzt ... vielleicht später ..." Pernaq schloss die Augen. Es gab nichts mehr, was er für Tieger tun konnte.
4.
Aus der Dunkelheit ...
Die Ereignisse in Jekes Haus sprachen sich in nur wenigen Tagen in der ganzen Stadt herum und wurden leidenschaftlich auf den Märkten und in den Tavernen diskutiert. Pfauchonen, die es normalerweise aus lauter Ehrfurcht nicht wagten, den Namen eines Propheten auch nur zu denken, redeten offen über Tiegers Heldenmut und Olibecs Niedertracht.
Als die Nachricht über das schreckliche Urteil sie erreichte - man munkelte, ein saltanloser Prophet habe sie einem Diener zugesteckt -, wich die Bewunderung großer Wut und Frustration. Ein Krüppel zu sein, angewiesen auf die Hilfe anderer, das war ein Schicksal, wie es ehrloser nicht sein konnte. „Lasst uns ihn töten!", schlugen manche vor, wenn der Alkohol ihre Gesichter rötete. „Nur so können wir die Scham von ihm nehmen."
Andere wollten den Klostervorsteher aufsuchen und um die Herausgabe Tiegers bitten, aber es fand sich niemand, der den Mut hatte, sich ihm gegenüberzustellen. Schließlich war es Jeke, der den entscheidenden Satz äußerte. „Lasst uns ihm helfen", sagte er.
*
Ein Jahr später ...
Sie nannten sich die Verschwörung der Unsichtbaren, diese kleine Gruppe, die jeden Tag durch die Gänge des Klosters schlich, ohne von irgendwem beachtet zu werden. Selbst die Wachen, die anfangs noch vor Tiegers Tür gestanden hatten, ignorierten die Diener und kümmerten sich nicht darum, was in der Kammer geschah. Mittlerweile gab es keine Wachen mehr. Die Erinnerung an Tiegers Verbrechen schien ebenso verblasst zu sein wie die Erinnerung an ihn selbst. Er machte es den Mönchen leicht, ihn zu vergessen, denn seit dem Tag der Bestrafung hatte er seine Kammer nicht verlassen und zu niemandem ein Wort gesagt. Sogar die Saltans
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