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214 - Der Mann aus der Vergangenheit

214 - Der Mann aus der Vergangenheit

Titel: 214 - Der Mann aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael M. Thurner
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wie heftig die Demütigung auch sein mochte. Er beobachtete und lernte. Er ließ die Masaaii weitgehend im Unklaren über seinen wachen und scharfen Verstand.
    »… du stinkst!«, sagte Wabo eines Tages. »Du riechst wie ein Nilross.«
    Nilrösser. Sie waren identisch mit jenem Riesenmonster, das de Rozier am Tag seiner Ankunft im Dickicht als Erstes gesehen hatte.
    Der Masaaii-Krieger hasste diese Tiere. Ein junger Bulle, aggressiv und in der Brunst, hatte ihm vor zwei Jahren das Bein abgebissen.
    »Für meine Nase riechst du ebenfalls grässlich!«, entgegnete de Rozier. Er wusste, dass er Wabo Contre geben musste, wenn er hier jemals anerkannt werden wollte. Ein schwacher Krieger schwieg und nahm die Kritik reglos hin. Ein starker hingegen reagierte mit ebensolcher Häme, ohne sich weiter provozieren zu lassen. Die goldene Mitte zu finden galt im Land der Masaaii als höchste Kunst, derer man sich befleißigen konnte.
    »Deine Eltern müssen dich in Teig gewalkt und deine Haut mit Affenpisse gegerbt haben, damit du diese abscheulich helle Körperfarbe abbekamst«, fuhr Wabo fort.
    »Und deine haben Gott Ngaai viel zu tief in seinen dunklen haarigen Hintern geblickt; als sie wieder hervor gekrochen kamen, haben sie dich mit herausgezogen.«
    Wabo rollte mit den Augen und schüttelte den Kopf.
    »Das ist zu viel, Weißgesicht! Beleidige niemals Ngaai, willst du die Achtung meiner Brüder gewinnen. Beleidige ihre Verwandten – gut. Beschimpfe ihre Eltern – besser. Verfluche ihre Weiber – großartig. Aber ziehe niemals Ngaai in weltliche Angelegenheiten mit rein.«
    »Verstanden.« De Rozier grinste. »Wenn ich also behaupte, dass dich deine Eltern aus dem haarigen Hintern deiner hässlichen älteren Schwester gezogen hätten, dann ist das in Ordnung?«
    »Ja. Bevor du diese Worte allerdings aussprichst, überlege gründlich, mit wem du es zu tun hast. Denn Troopars Schwester ist tatsächlich so hässlich und behaart wie ein Nilross. Ich und… öhm… die meisten Krieger haben diesbezügliche Erfahrungen gemacht. Der andauernde Spott hat Troopar sehr reizhaft gemacht, wenn die Sprache auf seine Schwester kommt. Du verstehst?«
    »Ja. Der haarige Hintern von Troopars Schwester bleibt von nun an für mich tabu.«
    »Sehr gut, mein Freund.«
    Mein Freund.
    Die Worte klangen gut, und sie klangen ehrlich. Wabo fing an, ihn zu akzeptieren. In seinen Augen zeigte sich Achtung. Längst schon sah er de Rozier nicht mehr als den minderen Besitz, als den er ihn im Kreis der Krieger vor dem Tod losgekauft hatte.
    »Wirst du mir heute wieder eine Geschichte aus der Vergangenheit deines Volkes erzählen?«, fragte Jean-François Wabo wissbegierig.
    »Du nervst.« Der Krüppel seufzte. »Was ich weiß, weißt auch du bereits. Der Große Nebel, der unser Land vor zig Generationen einhüllte und dafür sorgte, dass alles Leben unter einer dicken Eisschicht verschwand; der mühsame Kampf unserer Ahnen gegen die Unbilden der Natur; die darauf folgende Rückbesinnung auf alte Werte und altes Stammesdenken; der enorme Lebenswille; ein geglückter Pakt mit der Natur; die Verwendung und Wiederverwertung all der Reste, die uns die Alten hinterließen…«
    »Ich habe davon noch nicht viel gesehen«, unterbrach de Rozier. »Du redest zwar ständig davon, lieferst aber nur wenige Beweise. Ein Ofenrohr alleine rechtfertigt keine Behauptungen.«
    Dies war der interessanteste Teil seines… Traums. Der
    »Große Nebel« konnte durchaus mit der mythischen Verbrämung einer Naturkatastrophe in Einklang gebracht werden, wie es in der Bibel möglicherweise auch mit der Sintflut und Noahs Arche-Bau geschehen war. Doch die Erwähnung von Relikten, die so wundersam waren, dass selbst er, de Rozier, sich nicht erklären konnte, wo sie herstammten, erschreckte ihn. Dieser Traum, durch den er sich bewegte, schien ihm immer mehr zu entgleiten und ein besonderes Eigenleben zu entwickeln.
    Würde er irgendwann aufwachen und die Sprache der Masaaii in seinem Kopf behalten haben? Oder sich des besonderen Wissens über Landwirtschaft und Jagd, das er sich hier aneignete, erinnern?
    Wabo zeigte ein verkniffenes Gesicht. Zögernd nickte er. »Du bist lambaa. Mein Eigentum. Mein närrischer Diener, dessen künstliches Rohr zwar laut Bumm! macht, dessen viel wichtigeres, vom Körper herabhängendes Rohr allerdings nur halb so groß ist wie das meine…«
    »Du übertreibst schamlos!« De Rozier sprang auf. Er fühlte, wie seine Wangen zu brennen begannen, und

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