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214 - Der Mann aus der Vergangenheit

214 - Der Mann aus der Vergangenheit

Titel: 214 - Der Mann aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael M. Thurner
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Widerstandskraft des Menschen gerechnet. Was zusammengebrochen war, wurde langsam, allmählich wieder aufgebaut.
    Jean-François Pilâtre de Rozier verstand vieles nicht, würde die Dinge wahrscheinlich niemals wieder richtig einordnen können. Doch es gab eine Zukunft für ihn, das alleine zählte. In seinem Kopf existierten Pläne, die sich in diesen seltsamen Zeiten in diesem seltsamen Land umso besser umsetzen lassen würden.
    Er würde weiterhin forschen, planen, bauen. Er würde sich seine eigene Welt zurecht zimmern.
    Er musste es tun, um dem drohenden Wahnsinn ein Schnippchen zu schlagen.
    ***
    »Ihr nutzt die Dinge nicht, die ihr besitzt«, sagte Jean-François zu Wabo. »Aus den Büchern und Schriften kann man Dinge lernen, die aus dieser ärmlichen Siedlung eine blühende Stadt formen würden.«
    »Erstens, Weißgesicht, sind wir mit dem täglichen Überlebenskampf und den ständigen Scharmützeln mit Nachbarstämmen beschäftigt. Es geht uns leidlich gut, wir sorgen für die Armen und Kranken, aber wir haben einfach nicht die Zeit für ein ausgedehntes Studium des Haufens. Immerhin lernen wir lesen und schreiben und nutzen da und dort die Relikte der Alten, so sie für uns von Nutzen sind. Pajamba bleibt es überlassen, die Dinge zu sortieren und uns zu sagen, was brauchbar ist und was nicht.«
    »Und zweitens?«
    Wabos Gesicht verdüsterte sich. »Seit Jahrzehnten kämpfen wir gegen eine Plage an, die das Blut unseres Stamms ausdünnt. Sie greift nach den Alten wie nach den Jungen. Sie schwächt und tötet. Sie hindert uns daran, unsere Felder zu vergrößern und mehr als dem Boden dieses fruchtbaren Landes herauszuholen, als uns eigentlich möglich wäre.«
    »Eine Krankheit also.« Jean-François nickte wissend.
    »Auch in meiner alten… Heimat hatten wir zum Beispiel mit der Pestillenz oder der englischen Krankheit ( Syphilis; in Europa hieß sie meist Franzosenkrankheit, in Frankreich aus naheliegenden Gründen englische Krankheit ) zu kämpfen. Gelehrte Kreise meinten, dass Sauberkeit der Schlüssel zur Heilung allen Übels ist…«
    »Ich rede nicht von einer Krankheit, mein Freund, sondern von einer Plage. Von faustgroßen Insekten, den Tsetses, die uns von Zeit zu Zeit in Schwärmen angreifen und uns das Blut aus den Leibern saugen. Dann verstecken wir uns in den Hütten und wagen uns drei oder vier Tage nicht mehr ins Freie. Wer den Tsetses alleine und im Freien begegnet, der besitzt keine Hoffnung mehr.«
    »Faustgroße Insekten? Blutsauger? Hm… und sie tauchen in bestimmten Abständen auf?«
    »Sie richten sich nach Jahres- und Paarungszeiten. So viel konnten wir herausfinden. Nach der Befruchtung schwärmen die Weibchen aus, lechzen nach Blut und sind durch nichts zu stoppen.«
    »Was, meinst du, würde es deinem Volk bedeuten, wenn ich die Tsetses besiegte?«
    Wabo lächelte müde. »Man würde dir die Freiheit schenken und dich mit Ehren und Würden überhäufen. Aber ich glaube nicht, dass man deine Vorschläge ernst nehmen würde. Ich zumindest denke, dass du verrückt bist.«
    »Diesen Vorwurf musste ich mir oft genug gefallen lassen«, erwiderte de Rozier unbeeindruckt. »Ehrlich gesagt weiß ich auch noch nicht genau, wie es anzustellen wäre. Aber vielleicht hilft ja gegen einen fliegenden Gegner mein eigenes Fluggerät, die Rozière.«
    »Du bist mein Eigentum«, sagte Wabo grinsend. »Ich könnte dich jederzeit für deinen Wahnsinn erschlagen.«
    »Ich werde dich zu überzeugen wissen.« Jean-François verschränkte die Arme vor der Brust. Selbstsicher wie immer. Stark wie immer. »Gib mir eine einzige Chance, dir und den Stammesmitgliedern zu erklären, wie ich fliegen werde. Und dann gib mir ein paar Wochen, damit ich Pläne wälzen kann, um diese Tsetse-Plage zu besiegen.«
    Wabo dachte nach. »Eine Chance, Weißgesicht«, sagte er schließlich. »Und wage es nicht, mich lächerlich zu machen. Sonst wirst du dafür büßen.«
    ***
    De Rozier erklärte ihnen das Prinzip. Er zeigte ihnen im Aufwind des Feuers hoch flatternde Blätter. Er bastelte aus dünner Rinde ein Modell, so groß wie sein Unterarm, und ließ es meterhoch in die Luft fliegen. Er entwarf die Grundzüge eines Plans, zeigte vorgefertigte Bilder und Skizzen her, brachte seine gesamte Überzeugungskraft in diese eine Stunde ein, die ihm gewährt wurde.
    Die Dorfbewohner schwiegen. Da und dort lachte man über ihn. Sie hielten ihn für ein minderes Wesen falscher Hautfarbe, auch wenn selbst in diesem Stamm

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