218 - Nefertari
aufragenden Felsen in einem niedrigen Höhleneingang.
Daa’tan sprang von seinem Kamshaa und drückte Grao die Zügel in die Hand. »Halt das Biest fest, ich will mir das mal anschauen.«
»Sei vorsichtig. Die Kamshaas sind unruhig. Sie spüren etwas.«
»Die sind doch immer unruhig.« Der junge Mann lachte, legte den Burnus ab, weil er den Geröllhang im Schatten empor steigen konnte, und zog sein Schwert Nuntimor. »Keine Sorge«, sagte er. »Sollte da irgendwas drin sein, schlage ich es kurz und klein.«
Grao war gespannte Aufmerksamkeit, als Daa’tan wieselflink den Hang hochkletterte. Zwischen zwei Felsen, die größer waren als er selbst, verharrte er. Die Hand am Schwertgriff und die Augen zusammengekniffen, starrte er ins Dunkel der Höhle. Dann betrachtete er die Käfer und stellte verblüfft fest, dass sie auf ihrer Straße acht Kolonnen bildeten: Vier verschwanden in der Höhle, vier kamen daraus hervor, so exakt, dass es schon fast etwas Militärisches an sich hatte. Daa’tans Verblüffung verwandelte sich in Faszination. War es Baumaterial, was die Käfer heranschafften? Oder Nahrung für die Brut? Etwas war in der Höhle, denn dort drinnen stank es bestialisch.
Daa’tan wollte es nun wissen. Er duckte sich durch den Höhleneingang und achtete darauf, nicht auf die Käfer zu treten. Die ließen sich von ihm nicht aus dem Konzept bringen.
Hinter ihm knirschte es plötzlich. Daa’tans Nackenhaare stellten sich auf. Er fuhr herum. Im selben Moment begann Grao zu brüllen.
Daa’tan starrte auf den »Felsen«, den er gerade eben passiert hatte. Der erhob sich soeben – auf einer Vielzahl schlanker, kräftiger Insektenbeine! Zwei mächtige Fühler schnellten in die Luft und peitschten hin und her.
Ein Lebewesen, das sich mit perfekter Mimikry getarnt hatte! Mit einer Geschwindigkeit, die niemand dem riesigen Käfer zugetraut hätte, stakte er den Geröllhang hinab. Jeder Schritt brachte ihn gut drei Meter voran. Dabei verfärbte sich sein Leib von Steingrau in tiefes Schwarz.
Grao sah das Monster direkt auf sich zu kommen. Die Kamshaas röhrten panisch und rissen sich los, während Graos Tier vorne aufstieg und ihn abwarf. Er krachte zu Boden. Schmerz durchzuckte ihn, während ein riesiger Schatten über ihn fiel. Der gigantische Leib schob sich über ihn. Eines der Insektenbeine stampfte knapp neben ihm auf den Boden.
Der Käfer, dessen Chitinpanzer bei jeder Bewegung knirschte, hatte es indes nicht auf den Daa’muren abgesehen. Sein Ziel war das Kamshaa, das beim Herumwerfen ausgerutscht und gestürzt war. Während es mit den Beinen strampelte, brachte sich der Käfer in Position. Aus seinem Unterleib fuhr ein unterarmdicker Stachel und traf das unglückliche Tier in den Bauch.
Der Todesschrei des Kamshaas war schlimmer als alles, was Daa’tan je zuvor gehört hatte. Während er den Geröllhang nach unten lief, um Grao zu Hilfe zu kommen, sah er das Reittier am Stachel zucken. Grao blieb hingegen reglos liegen, wohl um den Käfer nicht auf sich aufmerksam zu machen.
Daa’tan bewies seinen Mut und seine Geschicklichkeit. Er sah, dass der Käfer an der Unterseite mehrere Stellen aufwies, an denen unter einer dünnen Haut Körperflüssigkeit pulsierte. Ohne zu zögern trat er unter das Monster. Er fasste Nuntimor mit beiden Händen am Griff und rammte das Schwert mit einem Schrei in die ungeschützte Stelle am Hinterleib.
Die Haut riss sofort. Ein Schwall stinkender gelber Flüssigkeit ergoss sich über Daa’tan. Der Käfer bäumte sich auf und stakste unkontrolliert hin und her. Er schwankte wie ein Schilfrohr im Wind. Chitin knirschte. Dann rannte der Käfer auf der Hälfte seiner Beine in die Wüste hinaus, während die andere Hälfte bereits einknickte. Das Kamshaa hing noch immer an seinem Stachel, er schleifte es unter sich her.
Das Leben floh in dicken gelben Fontänen aus dem Körper des Insekts. Schlagartig blieb es stehen. Ein letztes Zittern, dann krachte der mächtige Leib zu Boden. Staub wölkte hoch.
Daa’tan stieß einen Triumphschrei aus und reckte Nuntimor in den blauen Himmel. Grao erhob sich währenddessen und klopfte sich die Schuppen ab. »Kein Grund zur Freude«, sagte er. »Wir haben kein Kamshaa mehr und nur noch wenig Wasser und Nahrung. Es war keine gute Entscheidung, die Höhle erforschen zu wollen.«
Der junge Mann sah ihn herausfordernd an. »Was sollen die Vorwürfe, Grao? Hinterher ist man immer schlauer. Ich wollte eben einfach wissen, was die Käfer
Weitere Kostenlose Bücher