218 - Nefertari
ausrufen.«
Nefertari, deren Gesicht faltig geworden war, der man ihr wahres Alter aber nicht ansah, musterte ihn verächtlich. »Das Reich Ägyptens ist nicht nur eine, sondern gleich zwei Sandalen zu groß für dich, was übrigens auch für alle deine Geschwister gilt. Niemals werde ich die Blüte Ägyptens deiner Obhut anvertrauen. Du bist verweichlicht und hast nie das Format eines wahren Herrschers besessen.« Sie hielt einen Moment inne und musterte ihn aus blutunterlaufenen Augen. »Wenn du Mut hast, dann kämpfe gegen mich um die Nachfolge, denn ich selbst werde mich zum neuen Pharao krönen. Nur ich bin in der Lage, das ungeheure Erbe deines Vaters zu verwalten.«
Mosa war fassungslos. »Das… das ist nicht dein Ernst, Mutter«, stammelte er und wurde so weiß im Gesicht wie der Schnee auf den Bergen Chattis. »Der Thron steht mir zu…«
»Dann hole ihn dir.«
Mosa wich voller Entsetzen vor den hasserfüllten Blicken der alten Frau zurück. Er besaß tatsächlich nicht den Mut, gegen sie um die Nachfolge zu kämpfen. Stattdessen floh er aus Pi Ramesse und fand Aufnahme bei seinem Freund Merire, der als ägyptischer Statthalter in Abu Simbel die von Nubien erpressten Grenzgebiete verwaltete.
Auch keiner der fast zweihundert Prinzen und Prinzessinnen, die Ramses mit verschiedenen Frauen gezeugt hatte, wagte es, sich der lebenden Göttin Nefertari entgegen zu stellen. Und so kam es, dass sie sich nach der Trauerzeit von siebzig Tagen selbst zur neuen Herrscherin krönte. Das Volk jubelte ihr zu, und die rüstige Greisin mehrte Ägyptens Ruhm und Reichtum in den folgenden zwei Jahren sogar noch. Sie führte einen Krieg gegen die aufständischen Mitanni und fuhr noch selbst auf dem Streitwagen mit. Als die Mitanni sie erblickten, flohen sie voller Entsetzen, ohne dass sie auch nur einen Blitz schleudern musste. Das machte sie vollends zur Legende.
Als der dritte Jahrestag von Ramses’ Tod nahte, brach Nefertari zu einer Reise in den Süden auf. Sie bewahrte Ramses noch immer in ihrem Herzen und wollte ihn dort ehren, wo er ihrer beider Liebe mächtig und ewig in Stein hatte schlagen lassen.
»Schlechte Nachrichten für dich, mein Freund«, sagte Merire, ein groß gewachsener, sehniger Kommandant, der sein ganzes Leben dem Kampf gewidmet hatte, zu dem noch fetter gewordenen Mosa, der den ganzen Tag von Atons Reich auf Erden faselte und keine Frau in Ruhe ließ, obwohl seine Lenden längst lahm geworden waren. »Deine Mutter kommt uns besuchen. Sie will Ramses in den beiden Tempeln von Abu Simbel gedenken. Wir werden sie mit allen militärischen Ehren empfangen müssen.«
Mosa wurde fast schlecht vor Angst. Im ersten Reflex wollte er erneut vor ihr fliehen. Dann aber begannen seine Rachegelüste die Oberhand zu gewinnen. »Nein, dieses Mal weiche ich ihr nicht aus«, flüsterte er. »Hör mir zu, Merire, mein Freund, der du die von Seth Gesandte ebenfalls hasst: Wir werden uns an Nefertari rächen. Wenn die Götter sie nicht ins Totenreich holen wollen, müssen eben wir die Barke für meine Mutter bereiten.«
Was brüllende Hethiter und grausame Nubier nicht geschafft hatten, das bewirkten Mosas Worte: Merire begann zu zittern. Aber er ließ sich von Mosa überzeugen, nachdem er dessen perfiden Plan gehört hatte. Ausschlaggebend war schließlich Mosas Angebot, Merire zum Obersten Befehlshaber der ägyptischen Armee zu machen, wenn er selbst Pharao war.
Nefertari zog mit Prunk und Pomp in der Festungsanlage von Abu Simbel ein. Merire empfing die Königin mit allen Ehren und geleitete sie in das Gemach, das er für ihren dreitägigen Aufenthalt hatte herrichten lassen. Mosa hingegen ließ sich nicht sehen.
Der Festungskommandant ließ ein königliches Mahl für Nefertari zubereiten. Dafür hatte er einige nubische Dörfer überfallen und ausplündern müssen. In das zart zubereitete Fleisch der Antilopen, das Nefertari so gerne aß, gab er heimlich eine verstopfende Arznei hinein. Mosa hatte sie zubereitet, denn wie seine Mutter hatte er in der Tempelschule die Geheimnisse der Heilkunst erlernt, die, in böser Absicht angewandt, auch ganz leicht den Tod bringen konnten.
Nefertari, der das Gehen nun sichtlich schwer fiel und die die Last der Jahre ein wenig krumm gemacht hatte, sah Merire forschend an, als sie zusammen vor den aufgetragenen Köstlichkeiten saßen. »Eigentlich müsste ich dir vertrauen, Merire, denn du bist Ägypter und einer meiner tüchtigsten Soldaten. Doch bist du auch ein Freund
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