219 - Kaiserdämmerung
sich persönlich ein Bild über die Situation in der Kaiserstadt machen. Anlass war der nächtliche Diebstahl von Hilfsgütern, die zurzeit in der Tuchfabrik gelagert wurden. Tala begleitete ihn.
Als das Otomobil in die mit halben Nussschalen gepflasterte Chaussee einscherte, tastete Prinz Akfat verstohlen nach ihrer Hand, doch sie entzog sie ihm. Schmallippig drehte sie den Kopf zur Seite. Sie wollte diese Heimlichtuerei nicht länger ertragen.
Was viel versprechend begonnen hatte, wurde langsam zur Farce: Seit Wochen erlaubte Akfat ihr nicht mehr, ihn in seinen Gemächern zu besuchen. Nur noch in den dunklen Nischen des Palastes nahm der Prinz sie manchmal beiseite, küsste sie leidenschaftlich und flüsterte ihr Liebesschwüre ins Ohr. Oder er schlich sich wie ein Dieb des Nachts in ihr Zimmer. »Wenn der Kaiser zurückkehrt, wird sich alles ändern«, versicherte er ihr täglich. »Ganz offiziell werde ich um deine Hand anhalten.«
Eigentlich war dies das Letzte, was sie von Akfat erwartete. Sie wusste nicht, ob sie überhaupt seine Frau werden wollte. Sie mochte Akfat. Er war lustig und brachte sie zum Lachen. Mit unaufdringlichem Charme hatte er ihr den Hof gemacht, nachdem sie zwei geliebte Menschen verloren hatte: Nabuu und ihren Onkel Ord Bunaaga. Akfat war eine willkommene Zuflucht gewesen. Und Tala schätzte die Unverbindlichkeit ihrer Beziehung. Zu mehr war sie noch nicht bereit.
Dennoch kränkte sein abweisendes Verhalten in der Öffentlichkeit ihren Stolz. Wer war sie, dass er so mit ihr umging? Tala ballte wütend die Hände zu Fäusten.
Das Otomobil passierte jetzt den kuppelförmigen Bau der Verteilerstation. Hier mündete der Versorgungsschlauch in die Unterseite der Stadt. Wie eine Nabelschnur verband er Wimereux mit dem Boden – und dem Erdinneren, aus dem die Vulkangase gefördert wurden.
Tala starrte auf die spitzen Palisaden, die das dunkle Gebäude umringten. Auf ihren Befestigungen waren nur wenige Wächter zu sehen: fremde Gesichter! Die Soldaten, die jetzt die Stadt bewachten, waren vom neuen Kriegsminister hierher beordert worden.
Selbst ihren Fahrer sah Tala heute das erste Mal. Ein hagerer Mann in blauer Uniform. Mit finsterem Blick lenkte er das Otomobil vorbei am Observatorium zu dem Torbogen, der in den Zwischenring der Stadt führte. Nicht mehr lange und sie hatten ihr Ziel erreicht. Der Gedanke, dass Akfat sein Theater bei der Textilfabrik fortsetzen würde, war Tala unerträglich. »Wir können unsere Liaison sofort beenden«, platzte es aus ihr heraus. »Gleich hier und gleich jetzt!«
Akfat schaute sie verblüfft an. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn aber sofort wieder, als Tala abwehrend die Hand hob. Er wand sich in seinem Sitz, blickte abwechselnd von Tala zum Fahrer und ließ schließlich das Otomobil anhalten. »Lass uns ein paar Schritte gehen«, forderte er die Leibwächterin seines Vaters auf und verließ das Gefährt.
Tala gehorchte. Eine Weile liefen sie schweigend nebeneinander her. Dann blieb der Prinz stehen. »Wieso tust du das?«
»Ich habe meinen Stolz, Akfat. Wenn es dir peinlich ist, ein Verhältnis mit mir zu haben, dann lass es einfach. Ich kann auf dich verzichten!«
»Aber ich will nicht auf dich verzichten! Und du bist mir doch nicht peinlich! Es ist nur…«
»Es ist was?«
»De Fouché riet mir, unser Verhältnis nicht in der Öffentlichkeit zu zeigen, solange ich meinen Vater als Regenten vertrete. Die Leute könnten mich vielleicht nicht ernst nehmen. Sie sind gewohnt, dass ein Kaiser seine Frauen schützt, und nicht umgekehrt.«
»Du bist aber nicht der Kaiser, und de Fouché ist ein Idiot!«
»Tala, ich bitte dich! Er ist ein brillanter Stratege. Mein Vater hat ihn mir nicht umsonst als Berater zur Seite gestellt!«
»Du hast recht! Er ist ein Stratege! Jeden in dieser Stadt scheint er in sein Spiel eingebunden zu haben. Und die, die sich nicht einbinden lassen, hat er fortgeschickt. Jetzt auch noch Lysambwe und Rönee. Merkst du denn nicht, dass er mit seinen Ratschlägen einen Keil zwischen dich und die treibt, die dir ergeben sind?« Tala war außer sich vor Zorn.
Akfat reagierte auf ihre Anschuldigungen mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Ach was! Lysambwe ist nun einmal der erfahrenste Soldat für die Sache mit den Aufständischen. Und Rönee hat selbst darum gebeten, den Kommandanten begleiten zu dürfen! Außerdem, welches Interesse sollte de Fouché haben, Zwietracht zu säen?«
»Das weiß ich nicht.
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