219 - Kaiserdämmerung
Noch nicht! Akfat, ich traue ihm nicht. Seit er die Zugänge der Stadt abgeriegelt hat, werden keine Kranken, keine Verletzten mehr nach Wimereux gebracht. Keine Händler kommen mehr, keine Abgesandten der Dörfer. Wir sind von der Außenwelt abgeschnitten!«
»Aber ich bitte dich. Das gilt doch nur solange, bis die Sache mit den Rebellen geklärt ist. Außerdem fliegen täglich Rozieren oder Witveer nach draußen, um die Versorgungsgüter zu verteilen. Es ist doch nur ein gutes Zeichen, dass keine Kranken mehr gebracht werden. Das Land erholt sich zusehends.«
»Du weißt nicht, was wirklich da draußen geschieht!«, beharrte Tala mit drohender Stimme.
Jetzt riss dem Prinzen der Geduldsfaden. »Nein, ich weiß nicht, was da draußen geschieht! Meine Aufgabe ist es, die Versorgung der armen Menschen von hier aus zu koordinieren. Dazu muss ich mich auf die Leute verlassen können, die mit mir zusammenarbeiten. Mag sein, dass de Fouché mitunter zu übereifrig ist. Mag sein, dass seine Art und Weise arrogant ist. Aber ich lege für diesen Mann meine Hand ins Feuer! Das muss dir reichen! Also bitte, verschone mich mit deinen wilden Verschwörungstheorien!«
»Hoffentlich verbrennst du dir nicht die Finger, Akfat!«, zischte sie ihm zu.
Bevor Akfat etwas erwidern konnte, störte wildes Geschrei ihren Disput. Die beiden sahen sich um: Hinter dem Torbogen waren Menschen auf der Chaussee zusammengelaufen. Wild gestikulierend zeigten sie in Richtung Observatorium. »Es brennt! Es brennt! So tut doch etwas!«
Tala und Akfat zögerten keinen Augenblick und liefen los. Im Observatorium waren die Kranken und Verletzten aus dem Umland untergebracht, für die im Heilerhaus kein Platz mehr war.
Als sie den Torbogen hinter sich gelassen hatten, sahen sie den Rauch, der aus der offenen Tür der Sternwarte kroch. Mit ihm wankten Menschen über die Treppe ins Freie.
Tala und Akfat drängten sich durch die Menge. »Es brennt in einem der hinteren Säle!«, rief eine Frau.
Bei Ngaai, dachte Tala, sollte sich das Feuer durch die Leichtbauwände und den Fußboden in den gasbefüllten Trägerballon fressen, fliegt ganz Wimereux in die Luft. Sie löste ihr Haartuch, presste es sich vor den Mund und lief ins Gebäude. Dicht hinter sich hörte sie Akfat rufen: »Was hast du vor?«
»Die Löschvorrichtung! Sie –« Tala stieß mit Männern zusammen, die einen verletzten Wachmann trugen. »Mörder!«, hörte sie den Verletzten stöhnen. Irritiert gab sie den Weg frei.
»Er phantasiert«, brummte einer der Träger und schob sich an ihr vorbei. Irrte sie sich, oder hörte sie Säbel rasseln? Als sie ihm nachschaute, sah sie deutlich eine blitzende Klinge. Solche Säbel trugen nur de Fouchés Leute. Aber was taten sie hier?
»Was ist? Wo befindet sich diese Anlage?«, keuchte Akfat an ihrer Seite und erinnerte sie an das, wozu sie hergekommen waren.
»Hier irgendwo!« Sie tastete sich an der Wand entlang. »In jedem öffentlichen Gebäude zehn Schritte von den Eingängen entfernt. Auch im Palast. Ein verplombter Kasten. Darin ist ein Hebel, der den Zündmechanismus aktiviert. Dadurch werden die Pumpen angeworfen, die Löschschaum aus den Decken drücken.« Endlich spürte sie den Kasten unter ihren Fingern: Er war bereits geöffnet und der Hebel abgebrochen. »Bei Ngaai! Wir sind verloren!«, flüsterte sie.
»Nein! Hör doch!«, rief Akfat. Von der Chaussee her drang das dunkle Heulen von Hörnern an ihre Ohren. Die Löschfahrzeuge waren im Anzug! Doch noch etwas anderes war zu hören: ein jämmerliches Klagen und Weinen von Kinderstimmen. Es kam aus dem hinteren Teil des Gebäudes.
Wie gebannt starrte Tala in diese Richtung. Immer noch waren keine offenen Flammen zu sehen. Nur dieser beißende Qualm. Aber wer wusste, was sich dort bei den Kindern abspielte?
Die Leibwächterin wirbelte zu Akfat herum. »Geh! Du bist der Regent und darfst dich nicht weiter in Gefahr bringen. Ich erledige das alleine.« Sie drückte das Tuch fester vor ihren Mund und wollte in die Richtung laufen, aus der sie die Kinder hörte.
Prinz Akfats Augen blitzten sie an. »Turlututu! Es gibt noch über hundert andere Regenten in diesem Land!« Damit stürzte er an ihr vorbei. Aber nur einen Akfat, dachte Tala und rannte ihm nach. Sie hatten den großen Saal noch nicht erreicht, als sie das Prasseln der Flammen hörten. »Maman, Maman!«, wimmerten die Kinder. Es waren drei.
»Schaff sie hier raus!« Akfat klaubte Decken und Tücher zusammen und schlug auf
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