219 - Kaiserdämmerung
fletschte knurrend die Zähne.
***
25. April 2524, Wimereux-à-l’Hauteur
Doktor Aksela eilte gedankenversunken dem Marktplatz von Wimereux entgegen. Sie wollte nach den Patienten im Lazarett sehen, das man, nach dem Brand im Observatorium, behelfsmäßig in der Kaserne errichtet hatte. In den letzten Wochen hatte sich ihre Arbeit als Ärztin nur noch auf die Herstellung des Anti-Serums beschränkt. Doch ab sofort musste sie lediglich Produktion und Verteilung überwachen und konnte endlich wieder ihrer eigentlichen Arbeit nachgehen.
Als sie den großen Platz erreichte, erwartete sie nicht das bunte Treiben, das sie am Markt so liebte: Viele der Buden waren geschlossen, und die Händler boten eher verhalten ihre Waren an. Die gemütlichen Sitzecken waren fast leer gefegt. Nur der Geruch war der alte. Genüsslich sog die Ärztin den Duft von gerösteten Nüssen und frischem Maisbrot ein.
Kurz entschlossen steuerte sie einen der Stände an und kaufte sich ein Stück von dem warmen Brot. Gerade biss sie herzhaft zu, als eine ihr bekannte Stimme sie rief. »Doktor Aksela!« Es war Lococ, der sie von einem der runden Tische aus zu sich winkte.
Warum nicht einige Minuten sitzen? Noch dazu in netter Gesellschaft, dachte Aksela und kam seiner Einladung nach. Sie mochte Lococ. Der Produktionsmeister war in ihrem Alter und ein guter Unterhalter. Zumindest, wenn man sich für den Klatsch in der Kaiserstadt interessierte. Und Aksela interessierte sich sehr dafür. Schließlich bekam sie in ihrem Labor kaum noch etwas vom alltäglichen Leben in der Stadt mit.
Lächelnd ließ sie sich auf dem Korbstuhl neben ihm nieder. »Na, Lococ, was gibt es Neues?«
»Hat sich nicht viel geändert. Die Leute sind nervös. Und ich auch.« Er trank einen Schluck von seinem Tee. »Nachdem die Zugänge der Stadt geschlossen bleiben, habe ich nur noch mit den Lieferungen nach draußen zu tun. Alles andere wird jetzt von da drüben organisiert.« Missmutig nickte er in Richtung des äußeren Stadtringes.
Aksela wusste, Lococ meinte den Landeplatz bei den Witveer-Unterständen. Täglich stiegen dort Luftschiffe auf, beladen mit den Gütern, die in Wimereux produziert wurden. Auf dem Weg in die betroffenen Gebiete holten sie an bestimmten Treffpunkten die Hilfsgüter ab, die jetzt von einer Armada kaiserlicher Landrouler in den Dörfern und Städten eingesammelt wurden.
Lococ schien es genauso wenig wie ihr zu gefallen, dass die Landtransporte ausschließlich de Fouché unterstanden. Nur er hatte den Überblick, was da unten vor sich ging. Diesem Mann sollte man unentwegt auf die Finger schauen, dachte die Ärztin. Sie hatte in der Vergangenheit unliebsame Erfahrungen mit dem Kriegsminister gemacht.
Aber da war noch mehr, was Lococ zu beschäftigen schien. Aksela sah ihn nachdenklich an. Tiefe Sorgenfalten hingen in seinem runden Gesicht. In regelmäßigen Abständen flatterte sein rechtes Augenlid und er kaute nervös auf seiner Unterlippe herum. »Was ist los, Lococ? Was bedrückt Sie?«
Der Produktionsmeister seufzte. »Ich wünschte, der Kaiser käme bald zurück. Sonst wird das alles hier noch ein böses Ende nehmen.« Unglücklich nippte er wieder am Teeglas.
Aksela wischte sich ein paar Krümel vom Mund. Lococs Pessimismus überraschte sie. Gewöhnlich war er eine Frohnatur, die jede Widrigkeit des Lebens leicht zu nehmen schien. »Auch ich sorge mich um unseren Kaiser! Aber nicht zwangsläufig um unsere Stadt. Ich finde, Prinz Akfat hat das ganz gut im Griff! Was genau meinen Sie also mit böse enden?«
Lococ rückte seinen Stuhl näher an sie heran. »Bevor de Fouché die Stadt abriegeln ließ, habe ich von den Händlern merkwürdige Dinge gehört: Der Prinz erhebt heimlich Steuern. Er prügelt aus den Dorfbewohnern am Victoriasee den letzten Jeandor heraus. Sollte er de Roziers Nachfolger werden, dann mögen uns die Götter gnädig sein!«
Aksela konnte nicht glauben, was sie da hörte. Der Prinz ein Despot, der die Bevölkerung quälte? Entgeistert starrte sie den Produktionsmeister an.
In diesem Moment trat ein Fremder an ihren Tisch. Er stellte eine Tasse mit dampfendem Mocca vor sich ab und setzte sich mit einer Selbstverständlichkeit zu ihnen, als wäre er ein alter Bekannter. Seine grauen Augen auf Aksela gerichtet, stellte er sich vor. »Mein Name ist Zordan und ich bin der Sprecher der Kinder der Nacht.«
Akselas Augenbrauen schnellten nach oben. Jetzt war die Verwirrung komplett. Neben ihr keuchte der
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