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219 - Kaiserdämmerung

219 - Kaiserdämmerung

Titel: 219 - Kaiserdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mia Zorn
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seelenruhig an den Hals des Mannes. »Bist du der, der für das Heilerhaus Botengänge erledigt?«
    Der Befragte starrte ihn aus aufgerissenen Augen an. Seine Mitgenossen hielten den Atem an. Inzwischen linsten neugierige Augenpaare aus Fenstern und Türen der Nachbarschaft. »Er ist Golje, der Schreiner!«, rief eine Frauenstimme von dort.
    »Wir wissen, dass der Botengänger hier wohnt. Wenn dir dein Leben lieb ist, sag mir, wo ich ihn finde!« Rechilje flüsterte seine Worte fast.
    In diesem Moment stürzten zwei Uniformierte aus einer der Hütten. »Wir haben eine von ihnen gefunden!« Sie stießen eine junge Frau vor sich her. Ihre bunt gefärbten Haare standen wild um ihren Kopf.
    Ringe und Ketten klimperten an ihren dünnen Armen und Beinen. Sie machte ein trotziges Gesicht, als man sie vor Rechilje auf die Knie zwang. Sie war fast noch ein Kind. »Das ist meine Enkelin! Sie hat doch niemanden etwas getan«, jammerte eine alte Frau.
    Der Polizeioffizier ließ von dem Schreiner ab und wandte sich dem Mädchen zu. »Wo sind die anderen?«, fragte er streng. Die junge Frau hob herausfordernd die Augen. »Was wirst du tun, wenn ich es dir nicht sage? Willst du uns alle töten?« Ein spöttischer Ausdruck flog über ihr Gesicht.
    Rechilje antwortete nicht. Er kehrte ihr den Rücken. Fast beiläufig hob er seinen Säbel. Die Klinge schwirrte durch die Luft und landete in der Brust des Schreiners. Die Menschen stöhnten und schrien. Hastig flogen die Türen und Fenster der Nachbarhäuser zu. Das Mädchen starrte mit offenem Mund auf den tödlich getroffenen Schreiner. Ihre Großmutter zeigte auf einen zitternden Mann in ihrer Nähe. »Er ist es! Er ist es!«
    Mit bebendem Körper erhob sich der Denunzierte. Er sagte kein Wort. Nur das erstickte Weinen einiger Frauen war noch zu hören.
    »Führt ihn, das Mädchen und die beiden Weiber ab!« Rechilje zeigte auf die Großmutter und die Frau des Schreiners. »Und schafft den Toten hier weg«, befahl der Polizeioffizier. »Ihr anderen dürft gehen. Wenn ihr euch ruhig verhaltet, wird der Prinz nichts gegen euch unternehmen!«
    Fast betäubt vor Angst und Entsetzen, schleppten sich die Leute zurück in ihre Häuser. Als es in der Gasse wieder still geworden war, glitt eine vermummte Gestalt aus der Dunkelheit an die Seite Rechiljes. »Habt ihr ihn gefunden?«
    »Ihn nicht! Aber den Botengänger des Heilerhauses und eine junge Frau, die den Kindern der Nacht angehört. Sie werden uns sein Versteck preisgeben. Unter meiner Folter hat noch jeder geredet.«
    ***
    6. Mai 2524, im Nordwesten des Victoriasees
    Lysambwe robbte neben Rönee durch das kniehohe Gras. In der Ferne hörten sie grölendes Gelächter: Das Lager der Rebellen war ganz in der Nähe.
    Sie hatten es am Abend entdeckt, als sie mit ihren drei Rozieren ein großes Waldstück überflogen: Am Rande des Dschungels ragten ein Dutzend Zelte aus der beginnenden Grassavanne. Ein großes Feuer erhellte den Platz. Die kaiserliche Flagge war gehisst, und die Männer, die sie sahen, trugen die Uniformen Wimereux-à-l’Hauteurs.
    Lysambwe war davon überzeugt, dass es sich um die Aufständischen handelte. »Was sollen die Truppen im Nordwesten? Sie sind alle südöstlich des Victoriasees, nicht hier«, versicherte er wieder und wieder. In der Hoffnung, dass die vermeintlichen Gegner sie nicht gesehen hatten, ließ er die Luftschiffe wenden und auf der anderen Seite des Waldes landen.
    Jetzt war es Nacht, und er lag mit Rönee im Steppengras. Ein Späher war vorgerobbt, um die Lagerbewachung auszukundschaften. Zehn Schritte hinter ihnen warteten zweiundzwanzig Soldaten auf sein Zeichen. Ob zum Angriff oder nicht, würde sich bald zeigen.
    Neben ihm räusperte sich Rönee. »Wenn es wirklich die Aufständischen sind, wie kommen sie dann zu den Uniformen?«
    »Das werden wir herausfinden!«, brummte Lysambwe. »Wer auch immer dahinter steckt, er wird es bereuen, jemals geboren zu sein!«
    »Glaubst du, es ist Pierre de Fouché?«
    »Wie kommst du denn darauf?«
    »Vor unserem Abflug habe ich mit Tala gesprochen. Sie misstraut ihm. Und ich finde, sie hat recht. Es ist schon merkwürdig, dass nur noch Offiziere des Kriegsministers die verbliebenen Gardisten und Wachen anführen. Ich kenne keinen Einzigen von ihnen. Auch die Abriegelung von Wimereux ist ungewöhnlich. Überleg mal, wie weit weg von der Kaiserstadt die Aufständischen sind! Keine wirkliche Gefahr, oder?«
    »Mhm«, brummte Lysambwe. »Ich würde auch meine Leute

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