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219 - Kaiserdämmerung

219 - Kaiserdämmerung

Titel: 219 - Kaiserdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mia Zorn
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ihrem Körper zu sehen war, glich einer verwesenden Leiche. Den Rest bedeckte eine Fülle von Stoff mit aufwändigen Stickereien. Vermutlich war es einst ein kostbares Kleid gewesen.
    »Maaki«, flüsterte Lay und deutete auf ein leer gelutschtes Fell neben dem Arm der Frau. Nicht nur das Tier hatte die Gruhfrau gefressen: In ihrer Reichweite lagen die Leichen ihrer Mitreisenden. Sie waren bis auf Knochen abgenagt.
    Rulfan hatte genug gesehen. Hier kam jede Hilfe zu spät. Er konnte nur noch das elende Wesen von seinen Leiden erlösen.
    Und während er die Fackel auf die Gruh hinab warf, machte sich Unruhe in ihm breit. Etwas sagte ihm, dass diese Roziere von der Großen Grube kam. Wenn es den Soldaten des Kaisers nun nicht gelungen war, die Gruh zu vernichten? Wenn sie sich im Gegenteil über das ganze Land verteilten? Lebte Matt überhaupt noch?
    ***
    7. Mai 2524, im Nordwesten des Victoriasees
    Lysambwe tauchte nur langsam aus seiner Ohnmacht wieder ans Licht. Sein Kopf schmerzte höllisch, und sobald er die Augen öffnete, drehte sich alles in seinem Blickfeld. Also ließ er sie geschlossen, in der Hoffnung, dass es bald besser werden würde.
    Er glaubte in einem Zelt zu sein. Er lag auf einer weichen Unterlage. Ein Teppich, vermutete er. Der Geruch von gebratenem Fleisch stieg ihm in die Nase und ließ ihm das Wasser im Munde zusammenlaufen. Ganz in seiner Nähe hörte er jemanden schmatzen. Der Gedanke, dass er beobachtet würde, missfiel ihm fast mehr als die Fesseln an seinen Hand- und Fußgelenken. Von draußen pfiffen die Vögel, und fremde Stimmen riefen sich abwechselnd Anweisungen zu.
    Lysambwe versuchte sich zu erinnern, wie er hierher gekommen war. In diesem Moment hörte er das Rascheln von Stoff. »Wir sind so weit«, sagte ein Mann, der wohl in das Zelt eingetreten war. »Sollen wir ihn mitnehmen?«
    »Nein, um ihn werde ich mich kümmern. Ich folge euch dann mit einer der erbeuteten Rozieren nach Wimereux«, antwortete eine Stimme, die Lysambwe sehr gut kannte: Es war die seines Halbbruders, des großen Voodoo-Meisters Fumo Omani.
    Die Erkenntnis traf den Kommandanten wie ein Keulenschlag. Er riss die Augen auf. So sehr es auch schmerzte, so übel es ihm auch wurde, er hielt sie geöffnet, bis das Gekreisel seiner Umgebung aufhörte und er zunächst verschwommen, dann glasklar seinen Halbbruder sehen konnte. Er thronte auf einem Stuhl vor einer reich gedeckten Tafel.
    »Fumo, du Mistkerl! Was hast du mit meinen Leuten gemacht?«, keuchte Lysambwe.
    »Ich freue mich auch, dich zu sehen!« Seelenruhig putzte sich der Voodoo-Meister seine fettigen Finger an einer bunten Stoffserviette ab. »Mit deinen Männern habe ich gar nichts gemacht!« Er erhob sich vom Sitz und schlenderte gemächlich auf ihn zu. »Die Aufständischen haben das für mich erledigt. Und sie haben ihre Sache gut gemacht.« Jetzt war er bei ihm und beugte sich zu ihm herab. »Es ist keiner mehr übrig, Lysambwe. Sie sind alle tot.«
    »Nein!«, stöhnte Lysambwe. Einen Moment lang schien all seine Kraft in den Boden unter ihm zu sacken. Übelkeit stieg in ihm hoch. Wie aus der Ferne drangen fauchende und stampfende Motorengeräusche an sein Ohr. Das weiß angemalte Gesicht seines Halbbruders schwebte über ihm. Sein Glasauge schien zu glühen. In dem anderen glitzerte eisige Kälte.
    Lysambwe bäumte sich auf. »Gib mir meinen Säbel! Mach mich los. Ich will mit dir kämpfen, Mann gegen Mann! Hörst du!« Er hebelte seine gefesselten Beine nach oben und warf sie zur Seite. Doch er verfehlte Omani. Verdreht blieb er zu seinen Füßen liegen.
    Alarmiert von dem Geschrei, stürzten zwei Wachen in das Zelt. Fumo gab ihnen Zeichen, zu verschwinden. »Ich rufe, wenn ich euch brauche.« Nachdem er mit seinem Fuß Lysambwe wieder auf den Rücken gedreht hatte, ließ er sich in gebührendem Abstand im Schneidersitz neben ihm nieder. »Ich habe dir nicht umsonst dein Leben geschenkt. Ich will dich leiden sehen! Und ich verspreche dir: Es wird ein langes Leiden!«
    Er griff in sein seidenes Gewand und entnahm einer verborgenen Tasche einen kleinen Lederbeutel. Dabei ließ er Lysambwe nicht aus den Augen. »Wie ich gehört habe, warst du für einige Tage in Avignon. Hast dich mit deiner Frau versöhnt. Wie geht es denn unserer schönen Zoe?«
    Der Kommandant biss die Zähne zusammen. Er hasste es, wenn Fumo den Namen seiner Frau nur aussprach. Seit Jahrzehnten schon neidete er Lysambwe sein Glück. Es gab eine Zeit, da hatte der Voodoo-Meister

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