219 - Kaiserdämmerung
führten drei Stufen auf die Bühne. Der Zuschauerraum dahinter lag im Dunkeln.
Zordan machte sich an der Treppe zu schaffen. Er löste ein Holzbrett an der seitlichen Verkleidung und tastete in der entstandenen Öffnung. Neben ihm stand eine junge Frau. Sie war in Zordans Alter und trug Hose und Wams aus dunklem Leder. Ihr Haar war kurz geschoren. Die Hände in die Hüften gestemmt, schaute sie von Tala zu Zordan. »Bist du von allen guten Geistern verlassen, die Leibwächterin des Kaisers hierher zu bringen?« Ihre großen braunen Augen funkelten den Anführer wütend an.
»Sie ist keine Gefahr für uns, Sarana! Gerade musste sie erfahren, dass das Schwein de Fouché ihren Onkel auf dem Gewissen hat.« Mehr sagte Zordan nicht. Er hatte gefunden, was er suchte, und kam mit einer dunklen Mappe zu Tala.
Die erkannte sofort, was er da in den Händen trug: Es war die Mappe von de Fouchés Adjutanten. Hier also waren die Dokumente, die der Kriegsminister so dringend suchte. Gleichzeitig wurde ihr auch klar, dass sie Mördern gegenüber stand. Denn wer sonst sollte den Adjutanten getötet haben? Misstrauisch tastete sie nach ihrer Kralle.
Sofort zückte der rothaarige Junge sein Messer. »Finger weg von deiner Waffe!«
»Was soll das? Lass sie in Ruhe!« Zordan schob den Jungen einfach zur Seite.
»Es ist ein Fehler, ihr das zu zeigen! Ein Fehler, sage ich dir!«, entgegnete der Rothaarige zornig.
»Wir brauchen Verbündete, irgendwann wirst auch du das begreifen!« Zordan entnahm der Tasche blütenweiße Bögen und reichte sie Tala. »Hier, schau dir das an«, forderte er sie auf.
Zögernd ließ sich Tala neben der Öllampe nieder und las ein Papier nach dem anderen. Da waren schriftlich festgehaltene Vereinbarungen mit verfeindeten Stammesfürsten über zukünftige Ministerposten in Wimereux, Avignon und Orleans und Pachtverträge über verschiedene Ländereien. Außerdem Listen mit unzähligen Namen.
Talas Hände begannen zu zittern, als sie begriff, was sie da las. Das waren Todesurteile. Auch ihren Namen entdeckte sie auf einer der Listen. Alle Dokumente waren auf den April datiert und trugen das Siegel des Prinzen. Unterschrieben hatte sie aber Pierre de Fouché.
»Wir müssen das sofort Prinz Akfat zeigen!«, keuchte Tala.
»Bist du blind? Siehst du nicht das Siegel? Er hat doch das Ganze veranlasst! Er steckt auch hinter den Anschlägen und benutzt uns als Sündenbock. Er will Kaiser werden! Verstehst du nicht?«, fauchte Sarana sie an.
»Prinz Akfat?« Tala glaubte sich verhört zu haben. »Akfat ist ein shiip neben Pierre de Fouché!«
»Ein shiip im Raubtierfell!«, knurrte Zordan. »Frag Aksela, sie weiß inzwischen Bescheid. Sie hat sich uns angeschlossen und versucht Männer und Frauen, die in Wimereux-à-l’Hauteur etwas zu sagen haben, für einen bewaffneten Widerstand gegen Pierre de Fouché und Prinz Akfat zu gewinnen.«
»Niemals! Du irrst dich!« Tala schüttelte den Kopf. Gleichzeitig versuchte sie Zordans Behauptung einzuordnen. Scheinbar glaubte selbst Doktor Aksela, dass der Prinz ein Verräter sei. Wie viele Bürger aus Wimereux hatte sie wohl schon davon überzeugt? Nicht auszudenken! Tala musste so schnell wie möglich mit ihr sprechen.
»Wir können niemanden die Dokumente zeigen, weil wir nicht wissen, wer alles darin verwickelt ist. Uns bleibt nur der bewaffnete Widerstand oder die Rückkehr des Kaisers! Verstehst du?« Zordan sah sie eindringlich an.
Tala erwiderte seinen Blick. »Redet wenigstens mit Akfat. Das Siegel des Prinzen beweist überhaupt nichts! Sprecht selbst mit ihm!«
»Ha! Damit er uns gleich an Ort und Stelle erledigen kann und als Dreingabe noch die Dokumente erhält!«, spottete Sarana.
Zordan sagte nichts.
***
13. Mai 2524, Dorf am Victoriasee
Victorius steuerte die kleine Hafenstadt Arriver an. Die vergangenen Tage hatte er in dem Boot oder an einsamen Buchten verbracht. Heute würde er das erste Mal seit langem wieder dem Trubel einer Stadt begegnen. Eine Stadt, die ihm einst sehr vertraut gewesen war: Es war die Heimat seiner Geliebten Salimata, und hier hatte er mit seinem damaligen Freund Zordan manche Nacht in einer der Tavernen verbracht.
Versonnen blickte der schwarze Prinz in die Ferne: Von den Hafenbefestigungen löste sich soeben ein Raddampfer und glitt über den See. Kleine und große Schiffe schaukelten am Kai. Hinter einer grünen Wand aus Papyrusstauden und Schilf linsten weiße Steinbauten mit blauen Türen und Fenstern hervor. Ihre
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