219 - Kaiserdämmerung
sich dem kaiserlichen Leibwächter ein schreckliches Bild:
Fumo hatte seinem Halbbruder den Säbel aus dem Leib gerissen und holte zum nächsten Stoß aus. Lysambwe taumelte auf ihn zu, seine linke Hand auf die klaffende Wunde in seinem Bauch gedrückt, in seiner Rechten Omanis Dolch. Noch bevor der Voodoo-Meister seinen tödlichen Streich führen konnte, stieß Lysambwe ihm den Dolch in sein gesundes Auge. »Stirb Bruder!«, flüsterte er heiser.
***
11. Mai 2524, Wimereux-à-l’Hauteur
Dunkle Gestalten huschten durch den schwach beleuchteten Innenhof der Verteilerstation. Die Wachen auf den Palisaden beachteten sie nicht weiter; es waren ihre eigenen Leute. Sogar ihr Befehlshaber war dabei: Pierre de Fouché! Sie erkannten ihn nicht nur an dem Degen in seinem Gürtel, sondern auch an der Art, wie er sich bewegte. Ein unvergleichliches Schreiten, bei dem die Füße kaum den Boden zu berühren schienen, die Arme mit fast tänzerischen Bewegungen den Körper begleiteten und das glänzende Cape von seinen Schultern hinterher schwebte.
Jetzt hatte er den Eingang des Gebäudes erreicht. Seine schlanken Finger schoben eine Kachel der glatten Außenwand beiseite und drückten den eingelassenen Hebel nach unten. Zischend glitt die Türplatte auf und ein ohrenbetäubender Lärm drang nach außen.
Als der Kriegsminister mit seinem Begleiter im Inneren des Kuppelbaues verschwunden war, wandten sich die Wachen wieder der Chaussee unter ihren Palisaden zu. Aus den Augenwinkeln bemerkten sie gerade noch einen Nachzügler, der über den Hof eilte. Die Wachen grinsten sich viel sagend an. Sie wussten, dass der Kriegsminister Unpünktlichkeit hasste, und konnten sich bildhaft vorstellen, was dem Verspäteten blühte. In ihrer Schadenfreude übersahen sie einen weiteren Nachzügler, dessen Gestalt sich aus den Schatten der Befestigungen löste. Sie hörten nur noch das Geräusch der sich schließenden Tür und genossen die angenehme Stille der Nacht.
In der Verteilerstation war es weder still, noch angenehm. Es war heiß, und das Stampfen und Fauchen der Pumpen und unzähliger Ventile brüllten durch die riesige Innenhalle. In deren Mitte führte eine Wendeltreppe gut fünfzehn Meter nach unten zu der Stelle, an der der mächtige Schlauch an den Trägerballon angedockt war. Dort befand sich eine weitere Halle, in der das aus dem Erdinneren geförderte Gas verarbeitet und verteilt wurde.
Ziemlich genau in der Mitte zwischen den beiden Hallen führte ein schmaler Steg aus Leichtmetall von der Wendeltreppe weg in ein Labyrinth aus Gängen. Wie gepolsterte Schächte waren sie in den Trägerballon eingearbeitet. Hier befanden sich die Verliese von Wimereux-à-l’Hauteur: kleine viereckige Taschen, deren elastische Wände und Böden bei jedem Schritt, bei jeder Berührung nachgaben.
Lange Jahre waren sie nicht mehr genutzt worden. Aber in den vergangenen Wochen verbrachten hier viele Menschen ihre letzten Tage. Auch Ord Bunaaga, der ehemalige Berater des Kaisers, war hier gewesen, bevor de Fouché ihn über den Rand der Stadt zu Tode stürzen ließ. Für keinen der Gefangenen hier gab es ein Entkommen. Und das lag nicht nur an den bruchsicheren Aluuniumketten, die wie Riesennetze die Zellen verschlossen, sondern auch an dem Kerkermeister: Pierre de Fouché!
Heute wurde der Kriegsminister herbemüht, weil seine Leute es nicht fertig brachten, ein Mitglied der Kinder der Nacht zum Sprechen zu bringen. Wieder einmal bestätigte sich seine Auffassung: »Wenn du willst, dass etwas erledigt wird, erledige es selbst.« Aufrecht folgte er seinem Polizeioffizier Rechilje durch das Labyrinth. In ihm herrschte die Anspannung eines Dampfdruckkessels. Die Zeit lief ihm davon. Am Victoriasee warteten seine Verbündeten, und er konnte den finalen Schlag in Wimereux nicht ausführen, weil diese Kinder der Nacht in dem Besitz wichtiger Dokumente waren!
Verräterischer Dokumente! Pierre de Fouché ballte die Hände zu Fäusten und betrat hinter Rechilje die Zelle. Ein Uniformierter begrüßte ihn salutierend. In der Mitte des kleinen Raumes war der Gefangene auf einen Behandlungstisch geschnallt. Sein Körper war übersät mit Schnittwunden. Er war bei Bewusstsein und sein Blick wirkte gehetzt. Schweiß troff von seiner Stirn. Es war schwer zu sagen, wie alt er war, denn Angst und Schmerz verzerrten sein Gesicht.
Pierre de Fouché stand an seinem Kopfende. »Gebt ihm noch einmal von der Droge!«, befahl er.
Der Polizeioffizier zog eine
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