219 - Kaiserdämmerung
es leiser. Victorius hörte nur noch zustimmendes Gebrummel. Die vollbusige Frau brachte ihm seinen Wein und einen Teller, von dem ein trübes Fischauge ihn anglotzte. Lustlos schob er sich eine Gabel von dem unappetitlichen Haufen in den Mund. Mon dieu, was nur war während seiner Abwesenheit hier geschehen? Die Neuigkeiten beunruhigten ihn zutiefst. Doch es sollte noch schlimmer kommen.
»Wenn de Rozier überhaupt zurückkehrt!«, erklang eine unheilschwangere Stimme. »Man munkelt ja, dass er gar nicht mehr am Leben wäre.«
Das war zu viel für Victorius. Vor Schreck blieb ihm ein Stück Fisch im Hals hängen und er verschluckte sich daran. Nach Luft ringend, kippte er das Glas Wein in sich hinein. »Bring mir mehr davon!«, keuchte er. Die Frau hinter der Theke gehorchte schmallippig. Hinter ihm palaverten die Männer darüber, was ihnen blühte, wenn Akfat das Land zukünftig regieren würde.
Während Victorius sein zweites Glas leerte, versuchte er das Gehörte zusammenzufassen. Aber er war zu keinem klaren Gedanken mehr fähig. Er wusste nur, dass er schnellstens nach Wimereux musste, um sich ein eigenes Bild über die Situation zu machen. »Wo kann ich hier ein Gefährt mieten?«, fragte er die Frau.
»Gibt es keines. Sind alle im Einsatz!« Die Vollbusige wischte mit einem dreckigen Tuch um seinen Teller herum. »Außerhalb der Stadt gibt’s ein kleines Gästehaus. ›Mama Baluu‹ heißt es. Die verleihen Reittiere.« Jetzt fixierte sie den Prinzen aus zusammengekniffenen Augen. »Dort kannst du auch übernachten. Siehst ziemlich mitgenommen aus.«
Victorius nickte. Er schob ihr einige Jeandors über den Tresen. Dann fragte er zögernd: »Kennst du zufällig eine Frau namens Salimata? Ihre Eltern lebten früher in dem blauen Haus unten am See.«
»Sali? Klar kenn ich die. Ist vor Monaten mit ihrer kleinen Tochter zu Verwandten in den Süden gegangen.«
Sie hat das Kind tatsächlich geboren! Mon dieu, ich habe eine Tochter! So etwas wie Stolz erfüllte Victorius’ Brust. Er strich sich über das Gesicht.
Die Frau missdeutete offenbar seine Geste. »Ja, wir machen uns auch Sorgen. Sind noch nicht zurückgekehrt. Würd’ mich nicht wundern, wenn sie die Gruhkämpfe nicht überlebt haben.«
»Nicht überlebt? Gruhkämpfe? Von was redest du, Frau?« Victorius starrte sie entgeistert an.
***
14. Mai 2524, Wimereux-à-l’Hauteur
Sämtliche verbliebene Gardisten von Wimereux hatten sich vor den beiden Eingängen des fensterlosen Theaterbaus verteilt. Während die vordere Tür nur bewacht wurde, hatte man in die hintere ein Loch geschlagen. Bewaffnet mit Äxten und Säbeln, warteten die Soldaten auf den Befehl ihres Kriegsministers. Der stand vor der freigelegten Öffnung. »Bringt mir Zordan und die Dokumente! Dann verschone ich euer Leben!«, rief er.
Die Gardisten lauschten angestrengt. Doch vergeblich! Pierre de Fouché trat beiseite. Während er sich den Kragen seiner Gardeuniform gerade zupfte, befahl er mit tonloser Stimme: »Holt sie da raus! Treibt sie zusammen! Macht schon!«
Johlend trieben die Gardisten ihre Äxte ins Holz der Tür. Einer nach dem anderen verschwand im Inneren des Hauses. Der Kriegsminister schritt über den kreisrunden Hinterhof des Theaters an die Seite seines Polizeioffiziers. Von drinnen hörten sie dumpfe Schläge, splitterndes Holz, zornige Rufe, Säbelrasseln und Kampfgeschrei.
Es dauerte nicht lange, dann wurde es leiser. Verhaltene Stimmen näherten sich der Öffnung. An den Haaren und an den Füßen schleiften die Gardisten zwei Dutzend Männer und Frauen auf den Platz. Darunter noch halbe Kinder. »Drei von ihnen mussten wir töten«, teilte ein Gardist mit.
»Runter auf den Boden mit ihnen!«, schrie der Polizeioffizier. Wer nicht gehorchen wollte, wurde nieder geprügelt.
»Wer ist euer Anführer?« De Fouché schritt die Reihen der Gefangenen ab. Vor den Toten blieb er stehen: einem Jungen, der kaum älter als sechzehn Sommer war, und zwei Frauen. »Ihr werdet wohl von Frauen und Kindern angeführt!« Mit einem verächtlichen Blick auf die Männer der Gruppe machte er kehrt. Als er Rechilje erreicht hatte, deutete er auf einen der Knienden. »Der da!«
Bevor auch nur einer der Gefangenen Luft holen konnte, sauste Rechiljes Säbel auf den Benannten nieder. Ein Aufschrei ging durch die Reihen. »Wer ist euer Anführer?«, setzte de Fouché erneut an.
»Ich!«, rief eine junge Frau mit kurz geschorenen Haaren. Ihre Stimme klang heiser, und Blut rann aus
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