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220 - Die Reise nach Taraganda

220 - Die Reise nach Taraganda

Titel: 220 - Die Reise nach Taraganda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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Tempellabyrinth. Als er endlich hinaus fand, wusste er nicht mehr, ob er auf dem richtigen Dach war. Er spazierte unauffällig an allerlei Topfpalmen vorbei, fand aber kein Telefon. Inzwischen war die Sonne untergegangen: Ein Flachdach glich dem anderen.
    Zum Glück war er diesmal nicht allein im Freien und erregte deswegen keinen Verdacht. Zwischen den Palmen knutschte ein Pärchen; ein anderes stand am Rand des Daches und bewunderte die allmählich sichtbar werden Sterne am Himmel. Zwei albern kichernde junge Burschen kifften sich die Hucke voll; der Schnauz im Affenjäckchen stand mit einem Zigarillo zwischen den Zähnen da und schaute zu dem Pueblo hinüber, auf dem der Hubschrauber stand.
    Ostwald schaute sich jede Topfpalme genau an, ohne sein Handy zu finden. Die Vorstellung, jemand könne es gefunden haben, gefiel ihm nicht. Man konnte anhand der Einträge Rückschlüsse auf ihn ziehen… Na und? Niemand wusste, was ihn wirklich nach Zanda geführt hatte. Er würde einfach sagen, er hätte das Ding einstecken wollen, da sei es wohl in den Topf gefallen.
    Auf dem Rückweg verlief er sich erneut. Schließlich sah er zwei Gestalten, die eine Treppe hinab gingen: Jussuf und die französische Baronesse. Da es ihn interessierte, wo ihr Ziel lag, pirschte er hinter ihnen her. Die Treppe endete an einem Portal, das ins Freie führte. Dahinter breitete sich der kultivierte Dschungel aus, den die Gärtner der Hadibis in Schuss hielten, damit er aus der Luft wie natürlich gewachsen wirkte.
    Jussuf und die Baronesse standen unter einer Palme. Es sah so aus, als küssten sie sich. Plötzlich ein leiser Aufschrei und ein Klatschen. Jussuf fluchte auf Arabisch und streckte die Hände nach der Baronesse aus.
    Allem Anschein nach beherrschte die Dame eine asiatische Kampfsportart. Ihre Arme rotierten. Erneut hörte Ostwald ein Klatschen. Der junge Hadibi flog in einem hohen Bogen durch die Luft und schlug auf den Boden. Die Baronesse schnaubte empört: »Was bilden Sie sich ein? In meinem ganzen Leben bin ich noch nie so erniedrigt worden!« Sie stampfte mit dem Fuß auf und ging ziemlich zackig zum Portal zurück.
    Ostwald drückte sich atemlos in eine Nische. Die Baronesse lief auf klackenden Pumps an ihm vorbei, ohne ihn zu entdecken, und eilte die Treppe hinauf.
    Ostwald kannte den Grund ihrer Empörung nicht, aber allem Anschein nach war Jussuf auf seine weltmännische Art etwas zu weit gegangen. Er hörte ihn im Dunkeln stöhnen und fragte sich, ob dies die Gelegenheit war, auf die er wartete. Er hatte zwar keine Waffe, aber eine Ranger-Ausbildung. Er wusste, wie man jemandem mit einem Griff die Lichter auslöschte.
    Ostwald huschte geduckt hinaus. Der Wind säuselte. Es war finster. Aber war es auch finster genug? Er drehte sich kurz um, suchte das Gebäude ab. Es handelte sich um einen Nebenbau des Tempels. Er war niedriger und mit Fensterchen versehen, hinter denen da und dort mattgelbes Licht brannte. Das Fest war nur als leises Summen in der Ferne wahrnehmbar. Hier, im Freien, zirpte und surrte der Urwald. Ein Vogelschwarm flog mit klatschenden Schwingen auf; eine ungesehene Wildkatze maunzte leise.
    Ostwald pirschte unter Palmen dorthin, wo er Jussuf und die Baronesse zuletzt gesehen hatte.
    Er empfand nun keine Skrupel mehr. Er würde nur eine Ratte bestrafen. Geduckt stand er unter einer Palme und hielt nach Jussuf Ausschau.
    »Omar?«
    Ostwald verharrte. Das darf nicht wahr sein. Er schaute sich zähneknirschend um.
    »Ich bin hier!«, rief Farah. »Huhuuu!« Sie schaute aus einem Fenster im dritten Stock.
    »Hallo!«, rief Ostwald lahm. »Ich hab mich verlaufen!« Er kam sich unsäglich blöde vor.
    »Komm in meine Richtung«, rief Farah. »Ich zeig dir den Weg!«
    »Ja, mach ich, danke.« Ostwald hörte irgendwo in der Nähe etwas rascheln. Jussuf? Warum zeigte er sich nicht?
    Weil er nicht weiß, was wir gesehen haben. Für einen Macho muss es ziemlich peinlich sein, wenn eine Frau ihm eine verpasst. Er musste sich ein Lachen verbeißen. Geschieht dir recht, du Arsch. Er beschloss, die Kastration aufzuschieben. Die Gelegenheit war alles andere als günstig.
    So sehr die vielen Gästen Farah auch beschäftigten, sie fand doch Zeit, zu der einzigen Musiknummer, die Ostwald aus seiner seligen Jugend kannte, das Tanzbein zu schwingen.
    Gegen 2:00 Uhr nachts wankten die ersten Partygäste, von Lakaien geführt, fröhlich in ihre Quartiere zurück. Die Herren vom Geheimdienst hatten sich zwei

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