2215 - Der Schohaake
Einsiedler schoss wieder und nahm den Finger erst vom Auslöser, als der Bär, tödlich in die Brust getroffen, mit einem letzten Röhren zusammenbrach. Er krachte nur einen halben Meter neben Sam und dem Wilderer auf den Boden, zuckte ein letztes Mal. Dann lag er still.
Es war vorbei. Alexander Skargue rief seinen Hund zurück. Sam ließ von dem Mann ab. Dieser hielt sich den blutenden Arm und starrte Skargue hasserfüllt an.
Der Biologe trat an ihn heran und hob den Karabiner auf. Dann kümmerte er sich um Sam. Die Wunde war nicht so schlimm, wie es ausgesehen hatte. Skargue schulterte seinen Rucksack ab und holte eine Dose mit Spray heraus, mit dem er die etwa zwanzig Zentimeter lange Wunde besprühte. Es stillte die Blutung, desinfizierte und beschleunigte die Verheilung. Zusätzlich legte er Sam einen elastischen Verband an.
Der Huskie ließ das alles über sich ergehen, wandte aber nicht für eine Sekunde den Blick von dem Wilderer. Skargue klopfte ihm aufmunternd auf das Fell und streichelte ihn. „Wird schon wieder werden, Alter", sagte er und drehte sich zu dem Wilderer um. „Und nun zu dir.<< Er war kein Polizist, nicht einmal ein Wildhüter. Er hatte keine Handhabe gegen den Mann. Er konnte ihm kein Verbrechen nachweisen. Aber auch wenn es anders gewesen wäre - was hätte er tun sollen? Ihn mit nach Otta nehmen und dort den Behörden übergeben? Er hätte auf dem ganzen Weg keine ruhige Minute mehr gehabt. Der Wilderer würde jede die Sonne. Der Biologe fühlte sich gut erholt. Er öffnete seine letzte Flasche und nahm den üblichen Morgenschluck, der das Zittern der Hände vertrieb.
Draußen hatte sich nicht viel verändert. Sam begrüßte seinen Herrn. Der Wilderer lag neben dem Grab, das er für seinen Kumpan ausgehoben hatte. Es war halb mit Erde gefüllt. Von dem Toten war nichts mehr zu sehen.
Der Wilderer starrte Skargue an. Er hielt sich den verletzten rechten Arm. In seinen Augen glänzte das Fieber. „Nimm mich mit!", flehte er. „Du willst nach Otta, oder? Du kannst mich hier nicht elend verrecken lassen."
„Kann ich nicht?", fragte Skargue hart. „Wer sagt das? Du hattest keine Skrupel, auf mich zu schießen. Dass ich noch lebe, war reines Glück. Bei der ersten Gelegenheit würdest du mir an die Gurgel gehen."
„Ich werde dir keine Schwierigkeiten machen, ich schwöre es bei allem, was mir heilig ist!"
„Was sollte einem wie dir schon heilig sein?"
„Mein Leben! Meine Seele!" Der Wilderer biss die Zähne zusammen und schnitt eine Grimasse des Schmerzes. „Nimm mich mit! Das Wundfieber bringt mich um.
Nur ein Arzt kann mich vielleicht noch retten!"
Skargue schwankte. Seine Entschlossenheit, den Kerl hier krepieren zu lassen, schwand dahin. In seinen Augen war er ein Mörder, der kein anderes Schicksal verdient hatte. Aber war er sein Richter? Herr über Leben und Tod? „Wie heißt du?", fragte er. „Sven", antwortete der Wilderer hastig. „Mein Name ist Sven, Sven Hastüd!"
Sven Hastud würde auf jeden Fall zu einer Belastung werden, wenn Skargue sich erweichen ließ. Sein Blick war ein einziges Flehen. Er besaß noch ein Jagdmesser, sonst keine Waffe mehr. Und nur noch einen brauchbaren Arm. Wie konnte er also zur Gefahr werden? „Steh auf", sagte Skargue. „Gib mir dein Messer!"
Der Mann tat es. Er kam umständlich in die Höhe und schwankte bei den ersten Schritten. Skargue nahm sein Messer in Empfang und schnitt damit den rechten Arm von Hastuds Felljacke ab. Er legte die Wunde frei, die Sams Zähne durch den Pe,lz geschlagen hatten. Das Blut war verkrustet, aber sie sah schlecht aus. Der Arm war geschwollen und rot. Es war zu spät, um ihn mit dem Spray zu behandeln. Das hätte geschehen müssen, als die Wunde noch frisch war und blutete. „Ich kann nichts für dich tun", sagte der Biologe. „Nimm mich mit - bitte!"
Skargue sah ihm in die Augen. Er konnte darin keine Hinterlist erkennen, nur kreatürliche Angst. Schließlich nickte er, holte eine Binde aus dem Rucksack und verband die Wunde provisorisch. „Sam wird dich nicht aus den Augen lassen", sagte er. „Und sobald du nicht mehr gehen kannst, bleibst du zurück. Ich kann mir keinen weiteren Zeitverlust erlauben."
„Danke", sagte der Wilderer. „Du kannst dich bedanken, wenn wir in Otta sind."
Sie waren wieder auf dem Pfad. Alexander Skargue legte ein forsches Tempo vqr.
Sie kamen gut voran. Sven Hastud hielt mit.
Gegen Mittag zogen von Westen her dunkle Wolken auf. Skargue befürchtete schon
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