2221 - Die Sekte erwacht
und Forscher, der aber introvertiert war. Er ließ sich relativ leicht einschüchtern. Er wich ihren Blicken aus, senkte immer wieder den Kopf, als sei er von tiefer Reue erfasst, und schien nicht zu wissen, wo er seine Hände lassen sollte. Sie waren nahezu ständig in Bewegung. Mal versenkte er sie in den Hosentaschen, dann versteckte er sie hinter dem Rücken, oder er kreuzte die Arme vor der Brust, wobei er die Hände in die Achselhöhlen schob. Nie aber blieben sie länger als für ein paar Sekunden an einem Ort, sondern er ließ sie sogleich weiterwandern. Mehrmals verschränkte er sie vor dem Bauch ineinander, um sie dann zu Fäusten zu ballen und nervös gegeneinander zu tippen. „Bre Tsinga", antwortete er, wobei er so hastig sprach, dass er sich teilweise verhaspelte. „Ihr genügt es nicht, dass ich ihre Andacht besuche. Sie will, dass ich Neugier erwecke, sodass mehr Menschen zu ihr kommen und ihr zuhören."
„Wo ist sie?"
„Das darf ich dir nicht sagen." Er blickte flüchtig auf. „Wie wäre es mit einem kleinen Tauchgang im Marepire-Becken?" Sie dachte nicht daran, ihn einer tödlichen Gefahr auszusetzen, hielt es aber für vertretbar, ihn zu erschrecken.
Sein Gesicht schien einzufallen. Die Wangen wurden hohl, und die Augen sanken ein. Die zitternden Hände suchten seine Schläfen. „Wie kannst du so etwas Entsetzliches sagen? Du weißt ja nicht, wie Marepire töten! Etwas Grauenhafteres kann man sich nicht vorstellen." Er zögerte, kramte in seinen Taschen, fand endlich einen kleinen Zettel und las eine Adresse ab. Mondra war überrascht. Demnach hielt sich Bre in einem Wohngebäude in einem der Außenbezirke der Stadt auf. Er nannte es das Gebetshaus.
Mit der Adresse und einem Datenkristall für alle holografischen Symbole der Sekte in der Tasche, die der Mann besessen hatte, verließ Mondra Diamond den Zoo. Sie flog direkt mit ihrem Gleiter zu der angegebenen Adresse.
Gespannt sah sie der Begegnung mit Bre entgegen.
Während sie die verschiedenen Stadtteile überflog, konnte sie sehen, dass überall gebaut wurde. Die Stadt und ihre Bewohner befanden sich im Aufbruch. Die Menschen nahmen die erlittenen Rückschläge durch den Ausfall der Syntroniken nicht einfach hin, sondern wehrten sich gegen ihre Folgen und taten alles, um sie auszugleichen. Äußerlich unterschied sich das Gebetshaus durch nichts von den anderen Gebäuden in diesem Bereich Terranias.
Nichts wies darauf hin, dass es irgendeine Bedeutung hatte.
Mondra betrat das Haus, glitt eine Antigravschräge hoch und vernahm bereits die Stimme Bre Tsingas, die Zwiesprache mit der Versammlung hielt. Die Psychologin rief den Besuchern etwas zu, und diese antworteten im Chor. Mondra horchte, verstand jedoch nichts. Nachdenklich blieb sie stehen. Sie war sicher, dass ihre Freundin Bre nicht aus freien Stücken der Sekte beigetreten war.
Bislang unbekannte Kräfte mussten im Spiel sein. Mit rechten Dingen konnte es jedenfalls nicht zugegangen sein.
Mondra war entschlossen herauszufinden, was es war, um es danach bekämpfen zu können. Sie drückte eine Tür auf und stand in einem Raum, in dem sich etwa fünfzig Männer und Frauen eingefunden hatten.
Bre Tsinga predigte - vollkommen in Dunkelblau gekleidet - von einem Podest. „... zählen zu den Tagen und Jahren des Niedergangs. In nicht allzu ferner Zukunft wird Gon-Orbhon über diese Welt und ihre ungläubigen Bewohner kommen. Er wird die Lebenden in zwei Klassen teilen - in jene, die nach ihrem Tode würdig sind, ihm zu dienen, und in jene, die einfach verlöschen werden. Er wird sich besonders jener annehmen, die schlechte Werke tun und lästerliche Gebäude errichten, anstatt Gon-Orbhon zu dienen und sein Werk zu verrichten."
Es war nichts Neues, und es war nichts, was in irgendeiner Hinsicht überzeugend gewesen wäre. Vielmehr stufte Mondra die Worte Bres als Schwachsinn ein. Ihr war rätselhaft, wie ihre Zuhörer -und vor allem Bre selbst - an so etwas glauben konnten.
Sie hörte kaum noch hin, als die Freundin ihre Worte wiederholte, horchte jedoch auf, als sie hinzufügte: „Gon-Orbhon wird den Untergang der Zivilisation herbeiführen, und wir werden alles in unseren Kräften Stehende tun, um ebendies zu erreichen. Dabei begehen wir keinerlei Gewalttaten. Wir verabscheuen und verurteilen die Gewalt. Sie entspricht nicht dem Geist Gon-Orbhons. Wir befolgen Recht und Gesetz - solange Recht und Gesetz auf diesem Planeten noch bestehen."
Bre Tsinga beendete ihre Predigt,
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