2232 - Wiedergeburt
aufgeben, um dich – uns – zu finden. Das ist der Weg, einen anderen gibt es nicht.
Dennoch. Ich will diesen Schritt bewusst setzen, aus freien Stücken. Und nicht, weil ich keine andere Wahl habe. Wenn du das nicht nachvollziehen kannst, können wir es gleich vergessen. Denn dann hat sich dein– mein – Charakter im Lauf der Jahre, die uns trennen, so weit verändert, dass ... Schon gut, ich gebe nach. Himmel, war ich damals störrisch! Also schön. Frag.
Korrigiere mich, wenn ich Unsinn behaupte. – Nach allem, was ich mir seit meinem Erwachen in der Tropfsteinhöhle über mich und meine Umgebung zusammengereimt habe, bin ich die digitale Reproduktion eines Bewusstseins. Ein autarkes Konstrukt, das sich innerhalb eines biopositronischen Rechnersystems bewegt, welches sich stufenweise vergrößert hat.
Nicht von selbst; die Erweiterung geschah fremdbestimmt. Aber sonst liegst du richtig.
Auch ich bin quasi „mitgewachsen", weil jeweils die entsprechenden mir immanenten, für diese Fälle vorgesehenen Kodes getriggert wurden. Stimmt's?
Stimmt.
Gut. Der Ausbauprozess des Systems scheint nunmehr abgeschlossen. Ich fühle mich jedoch keineswegs „vollständig" oder „ausgereift", sondern besitze nach wie vor große Erinnerungslücken.
Warum?
Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens, du bist nur ein Teil meiner – unserer Persönlichkeit.
Eine Art Sicherungskopie, nicht wahr? Die du – ich – wir angefertigt haben. Wann? Und wie?
Vor rund fünfundzwanzig Standardjahren. Damals muss es ein sehr einschneidendes Ereignis gegeben haben, das mich dazu bewogen hat, ernsthaft eine Beendigung meiner damaligen Existenzform ins Kalkül zu ziehen.
Moment! Soll das heißen, du ... kannst dich nicht mehr genau daran erinnern? Du leidest ebenfalls unter partieller Amnesie?
Ja. Auch ich repräsentiere nur Teilaspekte unseres Wesens.
Enttäuschung macht sich in mir breit. Ich hatte mir Antworten erwartet; stattdessen stellen sich neue Fragen. Hört das Rätselraten denn nie auf?
Ich fürchte, wir müssen uns damit abfinden, dass wir nur Stückwerk darstellen. Doch wir können uns ergänzen.
Ein einschneidendes Ereignis ... Während ich noch nach der Erinnerung krame, beginne ich bereits den Schmerz zu spüren. Die Verletzung, die Demütigung.
Torre. Torre Molinas. Mein Lehrer, mein Partner, mein Ehemann. Der mich verlassen hat wegen einer anderen. Und nicht nur mich hat er verraten, sondern auch alles andere, was uns teuer war. Das Institut, die Heimat... Trauer, Schmach und nahezu körperliche Pein überwältigen mich. Ich kann mich dessen nicht erwehren. Es ist alles noch so frisch, gerade erst ein paar Wochen her... Verstehe. Darum also habe ich das Experiment gewagt, obwohl meine Forschungen bei weitem nicht ausgereift waren. Habe die Sicherungskopie gezogen, wie du es nennst, als eine Art Momentaufnahme meines damaligen Selbst. Allerdings etwas, bitte verzeih, fehlerhaft. Willst du damit andeuten, ich sei ein Prototyp voller Macken, Bugs und Glitches? Hmm ... bedauerlicherweise: ja.
Toll, nicht wahr? Zu erfahren, dass man bloß das mangelhafte Abziehbild einer anderen Person darstellt, die vielleicht irgendwo da draußen quietschfidel herumläuft!
Das glaube ich nicht. Ich habe meine Forschungen auf diesem Gebiet später weiter betrieben, über zwei Jahrzehnte lang. Und ich habe einen Mechanismus entwickelt, der mir im Fall meines leiblichen Todes eine virtuellintellektuellbiopositronische Reinkarnation ermöglichen sollte. Ich denke daher, wir können davon ausgehen, dass wir nach herkömmlichen Maßstäben tot sind. Eine Art Hintertürchen... Ich produziere das Äquivalent eines Pfeifens. Ja, das sieht uns ähnlich. Wiedergeburt im Eigenbau. Ich lache. Und ich– mein anderes Ich– lacht mit. Wie?, frage ich abermals.
Kalups Theorien sind dir ein Begriff?
Selbstverständlich. Genau darauf haben wir bei vielen unserer Projekte aufgebaut.
„Materie ist bei näherer Betrachtung nichts anderes als ein wolkiges Gebräu aus Molekülen und Atomen", zitiere ich den Säulenheiligen aller Hyperphysiker.
„Und diese wiederum bestehen aus Elementarquanten, die im Verhältnis zum übrigen Volumen nur einen Bruchteil des Raums beanspruchen. Nur unseren Sinnen erscheint das Ganze als fest und massiv!
Nimmt man nun die These, dass alle Materie, welche als einander äquivalente Teilkomponenten Masse und Energie umfasst – Einstein lässt grüßen ... also alle Materie ihren Ursprung im übergeordneten Kontinuum
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