2236 - Der Finger Gottes
gehe zu ihnen."
„Seltsam, dass der Priester es nicht getan hat", wunderte Otarie sich. „Es ist seine Aufgabe. Du hältst dich besser da raus. Es ist zu gefährlich für dich. An wen könntest du dich schon wenden? An Tato Protana Aaqrass? Die Wölfe würden dich zerreißen, sobald du in seine Nähe kommst. An Aerbon, den Aufseher der Minen? Er würde dich nicht empfangen."
„Was ist mit Owara Asa Tagakatha?"
„Der Priester? Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, zu ihm zu gehen. Wenn er wollte, hätte er den Arkoniden längst gesagt, welchen Fehler sie gemacht haben. Vielleicht wollen die Weißen gar nicht hören, dass ihnen ein Fehler unterlaufen ist, und sie bestrafen jeden, der sie darauf aufmerksam macht. Oft halten sich gerade die Schwachen für unfehlbar. Sie vertragen keine Kritik."
„Du meinst, die Arkoniden sind schwach?" Dando zog die Schultern an den Kopf und wedelte abwehrend mit beiden Händen. „Das kann nicht sein."
„Du wirst es irgendwann begreifen", erwiderte sie lächelnd. „Auch ich war einst voller Ehrfurcht vor ihnen, habe sie den Göttern gleichgestellt, doch das ist vorbei. Ich habe Abstand zu ihnen gewonnen, und jetzt nehme ich plötzlich Schwächen wahr, die mir vorher nicht aufgefallen sind, weil ich blind war."
Obwohl er anderer Meinung war als sie, äußerte Dando sich nicht dazu. Ihre Warnung aber beherzigte er. Ebenso hielt er sich zurück, als Werber durch die Straßen und Gassen der Stadt zogen, um neue Arbeitskräfte für die Minen zu gewinnen. Sie hatten es schwer, denn angesichts der vielen Toten verspürten nur wenige Caiwanen Lust, in den Bergwerken zu arbeiten, auch wenn dies dem Willen der Götter entsprechen sollte. Sogar die Tatsache, dass die Arkoniden die Löhne drastisch erhöhten und versprachen, dass alle Arbeiter in ihren eigenen Hütten schlafen durften anstatt unter dem todbringenden Dach, änderte daran nur wenig. „Wir warten noch", entschied Otarie. „Wenn wir tot sind, haben wir nichts von dem Geld, das wir verdient haben."
Sie schloss den Zugang zu ihrer winzigen Hütte und wandte sich ihm zu. Er nahm ihr Angebot nur zu gerne an.
Sich ihr zu widmen war allemal angenehmer, als im Bergwerk zu schuften
4.
Der Arkonide war jung, und er war allein. Dando folgte ihm zur Stadt hinaus, vorbei an den vielen Feldern und Äckern bis in die Wildnis. Er musste schnell laufen, um den Anschluss nicht zu verlieren, denn der weißhaarige Mann stand auf einer kleinen, schwebenden Plattform, auf der er sich zügig voranbewegte und mit der er nicht auf Wege angewiesen war. Während er quer über ein Sumpfgebiet hinweg flog, musste Dando Umwege machen. Dabei entfernte der junge Caiwane sich teilweise so weit von ihm, dass er ihn aus den Augen verlor. Doch immer wieder spürte er ihn danach auf und konnte wieder zu ihm aufschließen. Dann aber blieb Dando heftig atmend auf einer Hügelkuppel stehen und hielt vergeblich Ausschau nach dem Arkoniden.
Das Land war weitgehend flach. Am Rande einer ausgedehnten Ebene stieg das Land nach drei Seiten hin sanft auf zu den Bergen, während es in Richtung Takijon steil in die Höhe ging. Wasserflächen unterbrachen die weiträumigen Sumpfgebiete, aus denen vereinzelt hohe Bäume emporragten. Als der Caiwane schon glaubte, der Arkonide sei weit entfernt irgendwo hoch oben in den Bergen, sah er es an einem der Gewässer aufblitzen. Unmittelbar darauf entdeckte er den Weißen. Vorsichtig pirschte er sich an ihn heran.
Als er sich ihm bis auf etwa fünfzig Schritte genähert hatte, sah er, dass der Arkonide an einem Bild arbeitete, das er entsprechend der Landschaft gestaltete. Obwohl er sich noch nicht lange damit befasst haben konnte, hatte Dando den Eindruck, dass es so gut wie fertig war. Er verstand nicht, weshalb der Weiße nun noch Farben auftrug, die nach seinem Empfinden gar nicht zu dem Bild passten.
Während er noch überlegte, was er nun tun sollte, raschelte es im Gebüsch. Herumfahrend machte er einen feuerroten Graswolf aus, der aus dem Dickicht herausschoss und ihn angriff. Bevor er ausweichen konnte, trafen ihn die Pranken. Mit seinem ganzen Gewicht prallte das Raubtier gegen ihn und warf ihn auf den Boden. Dando schrie in Todesangst. Vergeblich versuchte er, die messerscharfen Zähne von seiner Kehle abzuhalten. Er spürte, wie sich ihre Spitzen durch seine Haut bohrten. Doch dann drangen sie nicht tiefer ein.
Der Wolf blickte ihn mit gelb schimmernden Augen an, und sein heißer Atem schlug ihm
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