2276 - Tanz auf dem Vulkan
obwohl die Zeit drängte und von seiner Arbeit vielleicht das Überleben der Menschheit abhing. Er spürte eine seltsame Spannung in sich, ein absolut fremdartiges und doch vertrautes Gefühl, das er schon früher niemandem genau hatte erklären können.
Der USO-Major fuhr fort, doch Myles verstand ihn von einem Augenblick zum anderen nicht mehr. Seine Stimme hatte sich verändert, war höher geworden, klang zirpend, piepsig, schien bis in den Ultraschallbereich verzerrt worden zu sein.
Myles öffnete den Mund - und schloss ihn sofort wieder. Er sah, dass Meganon noch immer sprach und dabei hektisch gestikulierte, doch seine Bewegungen wirkten abgehackt, verschwommen. Kantor hatte den Eindruck, ihnen nicht mehr folgen zu können, so schnell waren sie geworden.
Plötzlich standen zwei andere Wissenschaftler neben dem USO-Major. Myles hatte nicht gesehen, wie sie neben ihn getreten waren, sie waren mit einem Mal plötzlich da und starrten ihn ebenfalls an. „Was ...?", brachte er hervor und verstummte sofort wieder.
Das Labor hatte sich auf unheimliche Weise verändert. Die Anzeigen der Messgeräte und Positronikpulte flackerten so hektisch, dass die einzelnen Angaben ineinander übergingen, die Darstellungen der Holoprojektionen liefen rasend schnell ab. Schemen huschten durch den großen Raum und zogen Farbschlieren hinter sich her, nur um dann abrupt wieder zu verharren, ja fast zu gefrieren. Doch wenn sie sich dann erneut bewegten, geschah es so schnell, dass Myles ihnen mit Blicken nicht folgen konnte.
Ihm wurde schwarz vor Augen. „Nein", flüsterte er, „das ist doch schon längst vorbei..."
Er spürte, wie der Zellaktivator unter seinem linken Schlüsselbein heftig zu pulsieren begann.
Das Gerät reagierte auf die körperlichen Veränderungen, die ihn erfassten und mitzureißen drohten. Myles hatte das Gefühl, von einer rasenden Sturmflut weggespült zu werden.
Die Schwärze breitete sich aus. Hatte sie zuerst nur die Randbereiche seines Sehfelds erfasst, sickerte sie nun auch ins Zentrum, bildete Ausstülpungen, die sich verformten, dann konkrete Gestalt annahmen ...
Die Gestalt einer Uhr.
Es war eine eiserne Wanduhr, ein blaues Gehäuse mit einem großen Zifferblatt aus Bronze und fein ziselierten Verzierungen darüber, die das Geh- und die Schlagwerke zum Teil verdeckten. Myles fielen sofort die zwölf dunkelblauen Kartuschen und die fein gearbeitete Eisenzeiger auf.
Auf dem Gehäuse war das Gehwerk mit Spindelgang in der Mitte angebracht, links das Viertelstundenschlagwerk und rechts das Stundenschlagwerk. Die Schnurtrommeln waren - und das war sehr selten - ebenfalls aus Eisen gefertigt. Die geöffneten Seitentürchen boten einen Blick in das Gehäuse.
Myles kannte das kleine Kunstwerk. Es war eine Morez-Wanduhr mit Viertelstundenschlag aus dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts, wohl aus den dreißiger Jahren, signiert mit J.
Mayet ä Morbier. Das war Jean Baptiste Mayet, ein berühmter Uhrmacher seiner Zeit.
Es gab verschiedene Legenden über die Familie Mayet. Der Begründer des Hauses, Ignace, lebte im 17. Jahrhundert in. der französischen Ortschaft Morbier. Er hatte für ein lokales Kloster die Kopie einer Turmuhr aus Holz hergestellt. Um die neue Turmuhr dauerhafter zu machen - und auf Grund seiner Ausbildung als Schmied -, verwendete er als Material Eisen.
Nach diesem ersten Erfolg baute er mehrere Turmuhren und später nach der Einführung des Pendels ebenfalls erste Zimmeruhren aus demselben Material.
Die Erfolge mit Zimmeruhren veranlassten die Mayets, in der gesamten Region eine Arbeitsteilung zu organisieren. Es gab schließlich Gießer für Glocken und Räder, Räderhersteller, Zifferringhersteller und dann die Uhrmacher, die aus den Einzelteilen funktionsfähige Uhren zusammenbauten und justierten. Die Mayets galten als Begründer des Uhrmachergewerbes mit professioneller Arbeitsteilung.
Myles kannte die Uhr, weil sie Bestandteil seiner Sammlung war - oder zumindest gewesen war. Es war eins seiner wertvollsten Stücke, mehr als nur eine Uhr, ein Kunstwerk, entstanden im Jahr 1733.
Obwohl Myles wusste, dass er die Uhr eigentlich gar nicht sah, sich nur einbildete, sie zu erblicken, oder sich zufällig an sie erinnerte, während er in Ohnmacht fiel, erfüllte ihr Anblick ihn mit Begeisterung. Schon früh hatte sich seine Faszination für das Phänomen der Zeit in seinem Hobby ausgedrückt, dem Sammeln von Uhren. Doch seit wie vielen Jahren hatte er sich nicht mehr um
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