2286 - Triptychon
NGZ Kallia Nedrun war zehn Zentimeter kleiner als Myles, mit gut gepolsterten Rundungen an den richtigen Stellen, hübsch und mit einem charaktervollen Gesicht. „Du weißt, was es mit dem Synergistiker-Duo auf sich hatte?", fragte er. „Das fragst du mich jetzt schon zum dritten Mal. Wieso bist du so unkonzentriert? Das sieht dir gar nicht ähnlich." Sie lächelte. „Das war die von ihrer speziellen Begabung abgeleitete Bezeichnung für deine Eltern, Enza Mansoor und Notkus Kantor. Die beiden verfügten über die paranormale Gabe der Synergistik. Sie ergänzten einander quasi wie das Computerund Kontracomputergespann der TSUNAMI-Raumschiffe."
Myles räusperte sich. Ja, wieso war er so unkonzentriert? Sein Vater war im September des vergangenen Jahres gestorben, als sein Bewusstsein in einem Mikrostrukturfeld verging.
Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Gegenwart. Auf Kallia. Sie war beileibe keine rassige Schönheit, aber attraktiv. Dichtes Haar umwallte ihre Schultern, die Stupsnase wirkte lustig, und die vollen Lippen verliehen ihr einen Ausdruck von Sinnlichkeit, der durch die exotisch grünen Augen noch verstärkt wurde. „Die synergistische Begabung beschränkt sich allerdings auf Dinge wie Wissenschaft und Technik", murmelte er. „Im Privatleben waren die beiden zwar einander sehr zugetan, aber oft wie Hund und Katze. Verstehst du? Beide waren sehr empfindliche Naturen. Schon ein falsches Wort konnte einen Streit hervorrufen. Auf sich allein gestellt waren beide dennoch geradezu hilflos und noch sensibler und unsicherer. Das gilt für meine Mutter noch immer. Bedenke das, wenn du mit ihr zusammenarbeitest."
„Die beiden konnten sich also auf wissenschaftlichem Gebiet durch gegenseitige gedankliche Stimulation zu genialen Leistungen steigern", sagte Kallia. „Wie bitte?", fragte Myles. Er musste sich eingestehen, er war wirklich sehr unkonzentriert, mit den Gedanken ganz woanders. „Die beiden konnten sich also ..."
„Ja. Ja, ganz sicher, du hast es erfasst."
„Und jetzt leitest du mit deiner Mutter ein Wissenschaftlerteam ..."
„... in das ich dich gern aufnehmen würde. Ja, unsere Entscheidung ist gefallen. Du bist dabei!"
Ihr Lächeln wurde zu einem Strahlen. „Das freut mich sehr, Myles. Und woran arbeitet ihr gerade?"
„Tja ... ich kann es ja mal kurz zusammenfassen. Es ist wirklich nicht besonders kompliziert. Wir versuchen, mit den Methoden der fünfdimensionalen Mathematik aus den bisherigen Sichtungen Wanderers und seiner Parallelexistenzen und den Materialisationen von der Kunstwelt stammender Artefakte, der Intelligenzmaschine von Punam, des mittlerweile als Erscheinungsform des Physiotrons erkannten Wünsche-Erfüllungs-Recyclers von Palpyron, des himmlischen Stücks und des Colt Peacemaker, die Bahndaten der Heimstatt von ES zu errechnen."
„Aha", sagte Kallia.
In diesem Augenblick wusste Myles, wieso er so unkonzentriert war.
Wegen ihr.
Er befürchtete, dass er gewaltig aufpassen musste, sonst würde er sich in sie verlieben.
Und das konnte er zurzeit nicht brauchen. Wenn nicht alle Angehörigen ihres Teams ganz bei der Sache waren, würden sie Wanderer nie finden.
Andererseits ... Ja, dachte Myles. Andererseits ..
3.
TRIPTYCHON
5. April 1333 NGZ
Myles zögerte, verharrte in gebührender Entfernung vor Inshanins Kabine, sodass der Positronik-Servo ihn nicht erfassen konnte.
Er wusste nicht, ob er das Richtige tat.
Hätte er doch nur ihre Augen sehen können, von denen er mittlerweile wusste, dass sie dunkelbraun waren. Nicht einmal beim Sex setzte sie ihre modische Brille ab. Nein. Du musst mich nehmen, wie ich bin.
Wie sollte er ihre Reaktion verstehen? An Bord der MUNGO PARK hatten sie miteinander geschlafen, und es hatte ihr mindestens genauso viel Vergnügen bereitet wie ihm. Sie hatten danach ein ernstes Gespräch geführt. Sei doch ehrlich, Myles. Du hast wegen dieser einen ... bedeutungslosen Nacht versucht, mich zu schützen. Deshalb bin ich als Einzige des engeren Kantor-Teams wie durch Zufall nicht zur Teilnahme an der Mission vorgesehen. Sie hatten einen Kompromiss gefunden.
Keinen Sex, keine Beziehung. Das ist schon mal klar. Beide hatten ... nun ja ... den Zwischenfall tags darauf eher als Unfall empfunden.
Ein Myles Kantor hat wirklich Besseres zu tun! Er hat keine Zeit für eine Beziehung ...
Und eine Inshanin wohl auch nicht...
Während des Flugs mit der INTRA-LUX hatten sie nicht mit der geringsten Andeutung verraten,
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