2293 - Ein Held für alle Fälle
Er stand steif wie ein Brett vor dem Terminal und zitterte. Der letzte Rest von Courage schwand sekündlich dahin.
Er drehte sich um und hoffte im Stillen, dass jemand käme und ihm einen Vorwand gäbe, sich schnell aus dem Staub zu machen. Aber kein Mensch tat ihm den Gefallen. Nicht einmal ein Roboter erschien.
Natürlich, dachte er verzweifelt. NATHAN hat an alles gedacht.
Er nahm seinen allerletzten Mut zusammen und ergab sich mit Leichenbittermiene in sein Schicksal. Er setzte sich hin und versuchte den Gedanken daran zu verdrängen, dass allein seine Anwesenheit an diesem Ort für ihn direkte Todesgefahr bedeutete.
Doch bevor er es sich doch noch einmal anders überlegen konnte, meldete sich NATHAN.
Das Mondgehirn verzichtete auf eine Sprachausgabe. Es gab auch keine Begrüßung. Stattdessen flimmerten plötzlich französische Worte über das Display.
Jack Reuter rutschte das Herz ganz tief in die Hose. Aber was hatte er anderes erwarten können? Doch wenn er meinte, er sei schon schockiert, dann hatte er den Text noch nicht einmal angefangen zu lesen, der vor ihm abrollte.
Es konnte nicht wahr sein. Er musste träumen. Das war einfach nur total verrückt.
4.
8. Mai 1333 NGZ Er hatte keine Minute geschlafen, und ihm brummte noch immer der Schädel, als er sich zu einem Frühstück zwang. Etwas musste er in den Magen bekommen, sonst würde er über kurz oder lang umkippen und seinen ersten Auftrag nicht ausführen können. Und das wäre wirklich schlimm, denn jetzt gab es tatsächlich kein Zurück mehr für ihn.
NATHAN verließ sich auf ihn. Das war das Allerschlimmste. Es ging nicht mehr nur darum, Mardi Dice zu beeindrucken. Es ging tatsächlich um die Menschheit, so hirnrissig es auch klang.
Er konnte es drehen und wenden, wie er wollte. Er steckte ganz tief im Schlamassel, aber er würde noch viel tiefer darin versinken, wenn er nicht tat, was NATHAN von ihm wollte.
Jack kaute widerwillig, schluckte noch drei Vitaminpillen und rekapitulierte in Gedanken, was NATHAN ihm mitgeteilt hatte.
Es gab, hatte ihm NATHAN erklärt, eine nicht zu überschauende Zahl von Terranern auf Luna, absolute Fachleute auf diversen Gebieten, die von Gon-O mit strategischem System mental übernommen worden waren.
Das war nichts Neues für Jack. Auch nicht, dass NATHAN plante, nun gegen Gon-O aktiv zu werden, was aber auf dem „üblichen Weg" diesmal nicht zu machen sei, weil die Hyperinpotronik auf vielfältige Weise und mit großer Gründlichkeit systemimmanent überwacht werde. Außerdem seien, verglichen zu früher, durch den Hyperimpedanzschock zahlreiche Handlungsmöglichkeiten weggefallen. Und das wiederum zwinge zu ungewöhnlichem Vorgehen.
Und hier kam er, Jack Reuter, ins Spiel.
Also erstens, dachte Jack: NATHAN brauchte einen Boten, der Botschaften ohne „elektronische oder positronische Spuren" überbringen konnte.
Zweitens: NATHAN brauchte einen Techniker, der „gewisse Schaltungen" bei Bedarf manuell vornehmen konnte.
NATHAN war aufrichtig gewesen: Jack Reuter wurde von ihm vor allem auf Grund seiner absoluten Durchschnittlichkeit benötigt, erst in zweiter Linie wegen seines Arbeitsbereichs, der praktisch überall lag. Als Reinigungstechniker konnte er auftauchen, wo er wollte, ohne sofort Aufsehen oder Verdacht zu erregen. Aber hauptsächlich - die „Durchschnittlichkeit".
Ein Riesenkompliment also für ihn. Aber es kam noch besser. NATHANS Wahl war auf ihn gefallen, weil sein Psychoprofil seine völlige Nutzlosigkeit für alle Angelegenheiten eines Aufstandes, einer Verschwörung und dergleichen belegte. Hervorragend. Niemand würde ihn verdächtigen.
NATHAN war sehr direkt gewesen, aber leider hatte er Recht. Jack gestand sich ein, dass er bei aller Befähigung, was seinen Beruf betraf, und bei all seinen stillen Passionen eben wirklich nicht mehr war als Durchschnitt.
Von wegen „Mann für alle Fälle"!
Jack Reuter hatte in der Tat zu jenen Technikern gehört, die selbst während der Besetzung Terras Anfang 1304 NGZ durch die Arkoniden nicht Mitglied der Gruppe Sanfter Rebell gewesen waren so einen musste man erst einmal finden! Aber es war eine Tatsache, die er heute schamvoll geheim hielt. Eigentlich wollten ja alle „dabei gewesen sein".
Aber er, damals 23 Jahre alt, nun wirklich nicht. Wenn Mardi das erfuhr!
Und ausgerechnet er, Jack Reuter, sollte nun in NATHANS Auftrag diverse Botengänge durch den Mond unternehmen?
Es war schon pervers. Aber exakt das war es, was
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