2293 - Ein Held für alle Fälle
drei Meter groß, riesig wie Alice im Wunderland. Der ungewohnte Alkohol tat seine volle Wirkung. Ja, hier war seine Chance. Er hatte es nicht gewollt, unter gar keinen Umständen? Er würde es tun, bien sure. „Was wolltest du mir sagen, Jack?"
Ihre Hand legte sich sanft auf die seine und gab ihm den Rest. „Das darf ich nicht verraten", lallte er leicht. „Noch nicht, aber du wirst es wissen, wenn es so weit ist."
„Ist es so geheim, Jack?"
„Topsecret!", sagte er mit Verschwörermiene. „Oh, Jack, du machst mir ja richtig Angst."
Er lachte grimmig. Ja, so musste es sein. Sie fürchtete um ihn. Sie hatte Feuer gefangen, ganz ohne Zweifel. Der Alkohol ließ ihn noch weiter wachsen. Als er die Zehnmetergrenze erreicht hatte, warf er sich in die Brust und sagte in ritterlicher Manier: „Das braucht es nicht, Mardi. Du brauchst überhaupt nie mehr Angst zu haben."
„Ich verstehe dich nicht. Ich glaube, wir sollten jetzt besser ..."
„Ja", unterbrach er sie forsch. „Wir gehen, denn ich muss mich mental vorbereiten. Nein, ich zahle."
„Aber ich habe dich eingeladen."
Er hatte seinen Kreditchip schon in den Schlitz gesteckt und winkte galant ab. Als er sich erhob, schwankte er leicht. „Geht es dir wirklich gut?", erkundigte sich Mardi besorgt. „Mir ging es noch nie im Leben besser! Ich ... ich liebe NATHAN!"
„Was hat NATHAN damit zu tun?"
Es ist geheim, Jack! „Nichts", sagte er. „Was soll denn mit NATHAN sein?"
„Du hast von ihm angefangen."
„Da musst du dich verhört haben."
„Ja", sagte sie. „Wahrscheinlich."
Sie sah ihn besorgt an. „Und mit dir ist wirklich alles in Ordnung?"
„Mir ging es nie besser!"
Ihm ging es nie schlechter ...
Als er allein in seine Wohnung zurückkehrte, war es schon fast 18 Uhr. Er fühlte sich benebelt und elend. Er wusste nicht mehr, was er Mardi noch alles gesagt hatte, bevor sie sich trennten. Er konnte nur hoffen, dass er sich nicht noch tiefer in diese verdammte Geschichte hineingeritten hatte.
Jedenfalls steckte er tief in der Patsche. Er hatte den Hass und die Leidenschaft in ihren Augen gesehen und nicht anders gekonnt. Was für ein Idiot! Den Helden spielen! War er von allen guten Geistern verlassen gewesen? „Ich trinke nie wieder", stöhnte er, als die Tabletten wirkten und er langsam wieder zu sich kam. „Aber jetzt muss ich es tun."
Das, wovor er mehr Angst hatte als Vaterlandsliebe. Er sah sich schon auf dem Prallfeldpodium, vor der Guillotine. Der maskierte Henker grinste ihn an. Und dann ... „Nein!", stieß er krächzend hervor. „Ich habe es gesagt, und jetzt muss ich es tun. Mardi vertraut mir. Zum ersten Mal werde ich von einer Frau bewundert. Und ich werde sie nicht enttäuschen!"
Er nahm noch einen Upper und machte sich schweren Herzens bereit. Als er, frisch geduscht und umgezogen, seine Wohnkabine verließ, war sein Tritt wieder einigermaßen fest. Ihm blieb noch eine halbe Stunde bis 19 Uhr. Er musste sich höllisch beeilen. Hyperinpotroniken wie NATHAN schätzten Unpünktlichkeit bestimmt nicht besonders - vor allem dann nicht, wenn es um die Zukunft der Menschheit ging.
Was für ein Wahnsinn!, sagte er sich. Er war Jack Reuter. Er war vielleicht der „Mann für alle Fälle". Aber er war ganz gewiss kein Geheimagent und schon gar kein Retter des Universums.
Mehr als einmal blieb er stehen oder sprang vom Transportband, um umzukehren. Ihm war schwindlig. Die Mischung aus Restalkohol und Tabletten war vielleicht doch nicht so ganz das Wahre gewesen. Immer wieder zögerte er.
Aber die Zeit verrann gnadenlos. Weiter, Jack!, appellierte er an sich. Du hast es dir eingebrockt, jetzt musst du durch!
Er erreichte Sektion GVX-23.17 um 18.57 Uhr. Es herrschte jede Menge Betrieb. Dutzende Techniker und Wissenschaftler huschten herum, allesamt extrem nervös. Jack Reuter atmete tief durch. Ihm ging es nicht allein bescheiden. Ihnen allen steckten noch die schrecklichen Ereignisse des Vortags in den Knochen. Oder taten sie nur so und verstellten sich?
Wie viele der hier tätigen Menschen waren noch Herr ihrer Seele? Wie viele waren längst Gon-Os Marionetten?
Er durfte sich nicht damit quälen und ging unauffällig weiter durch Hallen und breite Korridore. Je näher er seinem Ziel kam, desto weniger Betrieb herrschte, und als er um Punkt 19 Uhr vor Terminal Nr. 236 stand, war er allein.
Eigentlich hätte ihm ein schwerer Stein vom Herzen fallen müssen, aber er spürte nicht einen Hauch von Erleichterung. Im Gegenteil.
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