23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV
sicher kommen.“
Er sah vor sich nieder, warf dann einen sehr freundlichen, beinahe zärtlichen Blick auf mich und fuhr fort:
„Eigentlich habe ich noch eine Frage. Sie betrifft deinen Glauben. Du bist Christ?“
„Ja. Du doch auch!“
Ich gab diese sonderbare Antwort, weil ich eine lange, unfruchtbare, religiöse Auseinandersetzung erwartete und die Sache so kurz wie möglich machen wollte. Die Zeit des Versteckspielens war nämlich für mich vorüber. Ich wußte nun genug und hatte keinen Grund mehr, mich und meine Weltanschauung für geistig rückständig halten zu lassen. Er warf den Kopf wie erschrocken in die Höhe und rief aus:
„Ich? Ein Christ? Allah verhüte es! Wer hat dir diese größte aller Lügen weisgemacht?“
„Lüge, sagst du? Ist der Koran ein Lügner?“
„Nein. Jedes seiner Worte ist heilig und unsere Auslegungen sind ebenso heilig. Willst du etwa behaupten, das, was du sagst, aus diesen Quellen zu haben?“
„Ja.“
„So beweise es! Was aber kann ein Europäer, ein Christ vom Koran und seinen Auslegungen wissen!“
Er faltete mitleidig die Hände, schlug die Augen auf und holte sich einen Blick des himmlischen Erbarmens herab, den er mir ganz unverkürzt herüberschickte. Ich nahm ihn ruhig hin und fragte:
„Was steht dir höher, der Himmel oder die Erde?“
„Natürlich der Himmel“, antwortete er.
„Das Zeitliche oder das Ewige?“
„Das Ewige.“
„Ein Fürst und Richter über einige Millionen oder ein Fürst und Richter über alles, was da lebte, lebt und auch noch leben wird?“
„Dieser letztere.“
„Du verehrst Mohammed. Du glaubst an seine Lehre und richtest hier auf Erden nach den Worten, die er euch hinterließ. Er ist also der Gesetzgeber aller Mohammedaner. Was aber wird er einst in jenem Himmel sein?“
„Der herrlichste von allen, die Propheten waren.“
„Hast du von der Moschee der Ommajjaden in Damaskus gehört?“
„Ja. Sie ist die prächtigste und hochberühmt, des Jüngsten Gerichtes wegen. Denn Isa Ben Marryam (Jesus, Mariens Sohn) wird sich an diesem Tag auf einen ihrer Türme niederlassen, um alle zu richten, die da sind und waren, die Lebenden und die Toten. Wozu aber diese Fragen, die mir ganz zwecklos und überflüssig erscheinen?“
„Wie du so fragen kannst, o Katib! Dein Herr, der Scheik ul Islam, welcher neben dir sitzt, wird scharfsinniger sein als du und dir sagen, daß du soeben zugegeben hast, ein Christ zu sein.“
„Ich?“ fuhr er zornig auf. „Klüger als ich? Eff – – –“
Er hielt inne, denn er fühlte, daß er soeben ganz aus seiner untergeordneten Rolle gefallen sei. Sein Blick stieg himmelan, um sich die erforderliche Gemütsruhe herabzuholen, und als dies geschehen war, fuhr er fort:
„Ich verstehe dich nicht. Mach, daß ich dich begreife!“
„Du sagtest, daß Christus der himmlische Herr und Richter sei, der Spender der Seligkeit, dem aber auch die Verdammten zu gehorchen haben. Ich brauche dich gar nicht zu fragen, wer also höher stehe, er oder Mohammed, sondern ich bestätige nur, was du sagtest: Christus richtet einst alle, auch die Moslems. Er ist also euer höchster Herr, und folglich seid ihr Christen, so wie wir!“
Er war still. Die andern auch. Tiefste Verlegenheit in allen ihren Gesichtern.
„Wer von euch wagt es, mir zu widersprechen?“ fragte ich. „Wer von euch glaubt, in dem Koran und seinen Auslegungen besser bewandert zu sein als ich, der Christ, der Europäer? Er widerspreche mir, und ich werde ihm mit den Worten des Korans und seiner Erklärungen antworten!“
Da versuchte der Schreiber eine Ausrede:
„Du bist uns gleich zu hoch gestiegen, Effendi. Man hat von unten zu beginnen. Du aber fängst gleich im Himmel an, beim großen Weltgericht!“
„Wer noch nichts weiß, der mag von unten beginnen. Wir Christen aber sind im Himmel wohlbewandert, denn dort ist unser Vaterhaus, wo Isa Ben Marryam unser wartet. Es gibt keine einzige Religion, über welcher nicht jener steht, der nach eurer eigenen Ansicht Tod oder Leben, Verdammnis oder Seligkeit verteilt, und also sind die Menschen alle Christen. Sträubt euch, so viel ihr wollt, über diesen Punkt kommt ihr doch nicht weg! Gebt eurer Religion den Namen, der euch beliebt; hoch über allen diesen Namen steht doch der, nach welchem wir uns Christen nennen! Willst du noch mehr Auskunft über meinen Glauben, o Katib? Ich gebe sie dir sehr gern!“
„Nicht mehr Religion, nichts weiter vom Glauben!“ fiel da der
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