Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

Titel: 23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
Dann sagte er, wie um sich zu entschuldigen:
    „Und die Liebe, Effendi, deine christliche Liebe?!“
    „Sei still, Ustad! Wende dich nicht an die meinige; du meinst ja doch die deinige! Die wahre christliche Liebe weiß nichts von Charakterlosigkeit und zweckloser Gefühlsduselei! Sie wirft sich nicht wie ein feiles Weib jedem unwürdigen Leichtsinn in die Arme. Sie lacht und lächelt nicht den ganzen Tag. Sie ist ein ernstes Himmelskind. Sie hat den Ratschluß Gottes auszuführen. Sie weiß gar wohl das, was sie soll und will. Sie trägt das Buch der Gnade in der einen, das Buch der Strafe in der andern Hand. Nun hat der Mensch zu wählen. Die Reue jubelt; die Teufel zittern. Für Narren aber hat sie weder Lohn noch Strafe. Sie läßt sie ohne jede Antwort schwatzen und gibt dem Sultan recht, der sie ermächtigte, in ihren ‚Tausend und ein Märchen‘ vor aller Welt zu heulen und zu tanzen!“
    „So, so sieht deine Liebe aus?“ fragte er. „Ich denke, Gott läßt seine Sonne aufgehen über Gerechte und Ungerechte!“
    „Die Sonne da oben, den Himmelskörper, ja. Er gibt sogar dem Ungerechten alles, was er zum irdischen Leben braucht. Aber wenn er das in seiner Güte tut, so hütet er sich in seiner Gerechtigkeit, dies auch auf das andere Leben anzuwenden. Er weiß, daß dann alle Ungerechten den Himmel füllen würden, um die Gerechten nicht hereinzulassen! Nach dieser deiner Liebestheorie würde der Himmel schnell zur Hölle werden, nicht aber die Hölle zum Himmel. Ihre letzte logische Folge ist, daß alles Gute verschwinden und Gott zum Teufel werden müßte. Unsere Bibel spricht nicht ohne Grund von dem Wurm, der nie stirbt, von dem Feuer, welches nie verlischt, und von dem Ort, an welchem Heulen und Zähneklappern ist. Indem du in deinem Märchen die Hölle selig werden ließt, hast du alle diese Qualen für die armen Geschöpfe aufgehoben, die von ihr verführt worden sind. – – – War das etwa der Inhalt deiner Bücher, die du schriebst? Hast du jene angebliche Gottes- oder Christusliebe gelehrt, welche jedem Schuldigen die Strafe erläßt, nur damit Gott seinen Himmel nicht leer stehen zu lassen braucht? Bist du ein Verkünder jener unüberlegten Barmherzigkeit gewesen, welche die Bösen schont, damit sie gegen die Guten um so unbarmherziger verfahren können? Hast du jene pseudogöttliche Langmut gepredigt, welche das Unkraut ungehindert emporschießen läßt, bis der Weizen erstickt worden ist? Wenn du mir diese Fragen mit ja beantworten mußt, so hast du die Sünde und das Laster, die Selbstgerechtigkeit und die Heuchelei großgezogen und darfst dich nicht darüber wundern, daß diese deine Schatten schließlich dich auch selbst noch überwältigt haben! Du bist für die christliche Schwäche eingetreten, aber nicht für die christliche Liebe! Du hast diese Schwäche durch dein eigenes Leben in das Praktische übertragen und bist durch sie zum Rohr geworden, welches brechen mußte, als es sich nicht mehr tiefer beugen konnte! Du glaubtest, berufen zu sein, dich –“
    „Halt ein, Effendi, halt ein!“ rief er aus, indem er die Hände abwehrend gegen mich bewegte. „Du hast recht, recht, o wie so recht! Du hast vorhin von Liebesduselei gesprochen. Es war richtig! Ich dusele noch, jetzt noch, heute noch! Als du den Multasim vorhin laufen lassen wolltest, wohl um dann später seinen ganzen Anhang in die Hände zu bekommen, war ich dagegen. Ich wollte seine sofortige Bestrafung aber mild, schonend. Ich gab ihn scheinbar ganz in deine Hände, aber wenn es deine Absicht gewesen wäre, ihn vollständig unschädlich zu machen, ihn zu vernichten, so hätte ich mich dagegen gewehrt mit allen Mitteln, die mir zur Verfügung stehen!“
    „Wirklich? Das ahnte ich freilich nicht!“
    „Es ist so, ganz gewiß! Du siehst, daß ich ehrlich bekenne. Du hast mich in diesen letzten fünf Minuten kuriert. Gefühlsduselei! Wie wahr, wie wahr, wie wahr! In dieser Duselei habe ich mir mein eigenes Mark aus Leib und Geist gesogen. Nun aber soll es anders, anders, anders werden! Ich bin zwar alt, sehr alt, aber noch habe ich Knochen, und noch habe ich Muskeln, nicht nur am Körper, sondern auch am Geist. Erlaube mir, daß ich mich an dir stähle! Ich richte mich auf. Jawohl! Ich weiß, daß ich es werde! An dir will ich mich heben. Sei du die Hand, an der ich Kraft erlange! Sei du es jetzt, von dieser Stunde an! Ich gehe morgen fort, für eine ganze Woche. Ich bitte dich, an meine Statt zu treten! Du sollst

Weitere Kostenlose Bücher