23 Uhr, York Avenue
'ne Vorstellung, wie 'ne Frau aus der großen Stadt aussieht. Ich konnte sie richtig sehen. Sehr dünn. Nicht zu groß. Hart. Knochig. Offene Augen. Blasse Lippen. Und 'ne schwere Brille mit schwarzem Rahmen.
Ingrid: Komischer Traum für einen Mann. Gewöhnlich ist's eine süße, plumpe kleine Blonde mit großen Titten.
Anderson: Nun, so ging mein Traum nun mal. Und lange, glatte schwarze Haare, die ihr bis an die Hüften runterhingen.
Ingrid: Ich hab' eine Perücke, die so aussieht.
Anderson: Ich weiß. Ich hab' sie dir geschenkt.
Ingrid: Och ja, wirklich, Schatzi. Hatte ich vergessen. Soll ich sie aufsetzen?
Anderson: Ja.
[Pause von vier Minuten vierzehn Sekunden.]
Ingrid: Also. Bin ich jetzt dein Traum?
Anderson: Nah dran. Sehr nah dran. Setz dich wieder her.
Ingrid: Und was hast du mir heut' mitgebracht, Duke … wieder ein Feuerzeug?
Anderson: Nein. Ich hab' dir hundert Dollar mitgebracht.
Ingrid: Das ist hübsch. Ich mag Geld.
Anderson: Ich weiß. Paar neue Aktien?
Ingrid: Freilich. Ich hab' mich sehr gut 'rausgemacht.
Mein Makler sagt immer, ich hab' einen Instinkt für die Börse.
Anderson: Das hätt' auch ich ihm sagen können. Tu ich dir weh?
Ingrid: Nein. Vielleicht sollten wir ins Schlafzimmer gehen.
[Pause von zwei Minuten vierunddreißig Sekunden.]
Ingrid: Du bist schmäler geworden … und härter. Diese Narbe hier… du hast mir's einmal erzählt, aber ich hab's vergessen.
Anderson: Messerkampf.
Ingrid: Hast du ihn getötet?
Anderson: Ja.
Ingrid: Warum habt ihr gekämpft?
Anderson: Vergessen. Damals schien's wichtig. Soll ich dir das Geld schon jetzt geben? Das möchtest du wohl?
Ingrid: Sei nicht eklig, Duke. Das paßt nicht zu dir.
Anderson: Dann fang an. Tu's. Jesus, ich brauch' es so. Ich muß 'raus. Du mußt mich 'rausholen.
Ingrid: 'rauskommen - das ist dir so wichtig?
Anderson: Ich brauch' es. Ich bin verratzt. Mach langsam …
Ingrid: Freilich. Nein … ich hab' dir doch gesagt, mach die Augen nicht zu. Schau mich an.
Anderson: Ja. In Ordnung.
Ingrid: Weißt du, ich glaub', ich werd' ein Buch schreiben. Mach deine Muskeln locker, Schatzi; du bist zu sehr angespannt.
Anderson: Na schön… ja. Besser so?
Ingrid: Viel besser. Sieh doch… ist das nicht besser?
Anderson: Oh, Gott, ja. 'n Buch worüber?
Ingrid: Über den Schmerz und über das Verbrechen. Weißt du, ich glaube, daß Verbrecher - die meisten Verbrecher jedenfalls - ihre Taten begehen, um jemandem Schmerz bereiten zu können. Und ebenso auch, um gefaßt und bestraft werden zu können. Um Schmerz zu bereiten und Schmerz zu fühlen. Deshalb lügen, betrügen, stehlen und töten sie.
Anderson: Jaah…
Ingrid: Schau mal… ich will mein langes, schwarzes Haar um dich schlingen. Ich will es fest anziehen und verknoten… siehst du, so. Hier. Wie lustig du aussiehst … wie ein komisches Weihnachtspaket, ein Geschenk …
Anderson: Es fängt an. Ich kann's spüren …
Ingrid: Kommst du 'raus?
Anderson: Langsam … Vielleicht hast du recht. Ich weiß nicht viel von diesen Dingen. Aber es hat was für sich. Als ich saß, hab ich 'nen Knaben kennengelernt, der dreißig Jahre mindestens ausgefaßt hat. Normalerweise hätt' er acht bis zehn gekriegt, aber er hat den Leuten wehgetan, die er beraubte. Mutwillig, 's war nämlich gar nicht nötig gewesen. Sie gaben ihm alles, was er haben wollte. Sie schrien nicht. Aber er tat ihnen richtig bös weh. Und dann hinterließ er seine Fingerabdrücke, wo's nur ging.
Ingrid: Ja, das ist begreiflich. Du spannst dich schon wieder so an, Schatzi. Entspann dich. Ja, so ist's besser. Und jetzt…
Anderson: Oh, Gott, Ingrid, bitte… bitte tu das nicht…
Ingrid: Erst flehst du mich an, anzufangen, und dann flehst du mich an, aufzuhören. Aber ich muß dir helfen, 'rauszukommen. Dich 'rausholen. Ist das nicht so, Duke?
Anderson: Du bist die einzige, die's schafft… die einzige…
Ingrid: So… Jetzt beiß die Zähne fest zusammen und versuch, nicht zu schreien. Hier, du … und hier…
Anderson: Deine Zähne … ich kann nicht… bitte, ich .;. o mein Gott…
Ingrid: Nur noch ein bißchen. Du kommst jetzt 'raus … Ich kann's in deinen Augen sehen. Nur noch ein bißchen. Und jetzt… so… und so … Och, jetzt kommst du 'raus, Duke… stimmt doch, nicht wahr? Ich hol' dich 'raus. Ja, jetzt bist du draußen, entflohen. Aber ich nicht, Duke … ich nicht…
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Beginnend mit dem 12. April 1968 waren bei Ämtern und Behörden etliche Briefe aus der Feder eines
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