23 Uhr, York Avenue
getötet.
Anderson: Ja. Aber das war im Zorn, im Blut. Ich mußte es tun. Du verstehst? Er hatte mich beleidigt.
Ingrid: Und jetzt gehört's eben zu einem Job. Wieso soll's jetzt anders sein?
Anderson: Scheiße. Ihr Ausländer. Ihr habt keine Ahnung.
Ingrid: Nein, hab' ich nicht.
Anderson: Dieser Kerl, den ich erledigt hab', stänkerte und stänkerte immer wieder und hörte nicht auf damit. Beflegelte mich pausenlos. Wir hatten Streit. Schließlich mußt' ich ihn umlegen, oder ich hätt' mit mir selber nicht mehr leben können. Ich mußte. Ich wurde da 'reingezwungen.
Ingrid: Ihr Amerikaner-ihr seid so eigenartig. Ihr »legt einen Mann um« oder ihr »verpaßt ihm eins« oder ihr »versenkt ihn« oder ihr »schafft ihn beiseite« oder ihr »fahrt mit ihm spazieren«. Aber um nichts in der Welt würdet ihr sagen, daß ihr ihn getötet habt. Warum ist das so?
Anderson: Ja, du hast recht. Es ist ganz komisch. Ich weiß nicht, warum das so ist. Dieses Ding, von dem ich dir erzählt hab', und die Leute da, die von mir wollen, daß ich's tu - zuletzt hab' ich den Mann gefragt: »Sie wollen, daß ich ihn töte?« Und dann endlich gab er zu, das wär's, was sie wollten. Aber aus der Art, wie er stockte und wie er dreinsah, konnte ich deutlich sehen, daß ihm das Wort »töten« nicht eben süß auf der Zunge zerging. Als ich unten zu Haus für 'nen Schmuggler Lastwagen fuhr, hatten wir da diesen alten Krauskopf, der bei uns arbeitete - er konnte 'ne mächtig feine Maisgrütze kochen -, und der sagte immer, jeder muß mal gehen… jeder. Das ist das eine, sagte er, vor dem sich alle Menschen am meisten fürchten, und sie erfinden alle möglichen Wörter, damit sie's bloß nicht aussprechen müssen. Und Priester kommen daher und sagen dir, du wirst mal wiedergeboren, und du schnappst dir den Priester und gibst ihm Geld, obwohl du tief unten in deinem Herzen weißt, daß er lügt. Katholiken, Baptisten, Methodisten, Juden … ganz scheißegal wer - sie alle wissen, daß keiner je wiedergeboren werden wird. Wenn du tot bist, Mann, dann biste tot. Damit hat sich's. Das ist das Ende. Das war's, was dieser alte Schwarze mir ständig erzählt hat, und Junge, er hatte höllisch recht. Das ist das eine, was in uns allen steckt - in dir, in mir und in allen anderen auf dieser Welt und wir haben Angst vor dem Sterben und sogar Angst davor, auch nur dran zu denken. Sieh dich doch mal an, wie du da 'rumhockst, beinah' splitterarschnackt, und dein Fötzchen 'raushängen läßt… und du glaubst, das wird ewig so weitergehen? Schätzchen, wir alle werden mal 'rausgeholt. Letzten Endes. Man holt uns alle mal 'raus. Warum wohl, glaubst du, komm' ich ständig wieder zurück zu dir und schnapp mir dich, damit du mich 'rausholst? Weil du mich immer für kurze Zeit 'rausholst, und dabei weiß ich immer, ich komm' wieder. Und irgendwie … frag' jetzt aber nicht wie, weil ich dir's nicht erklären und selber nicht verstehen kann … irgendwie holst du mich für 'ne kleine Weile 'raus, und dann komm ich wieder zurück, und das macht das große Rausgeholtwerden leichter zu ertragen. Das letzte Rausgeholtwerden. Als ob ich von diesem letzten Mal auch wieder zurückkommen könnt'. Ich weiß nicht. Ich kann mir das alles nicht vorstellen - aber das denk' ich mir jedenfalls. Ich möcht' rauskommen, damit ich die Scheiße vergessen kann, die ich jeden Tag 'runterwürgen muß, aber ich möcht' auch 'rauskommen, weil's so 'ne Art Übung für das ist, was uns erwartet. Weißt du? Und diese arme, fette, reiche Schlampe in der East Side, die ich da 'rumprügle, die ist doch auch auf nichts anderes scharf. Klar, vielleicht macht's Spaß und läßt uns vergessen, durch wieviel Scheißdreck wir jeden Tag waten müssen, aber vielleicht gibt's uns auch die Überzeugung, daß wir bei jedem kleinen Mal ein bißchen sterben - na also, dann ist's beim großen Mal, beim großen Rausgeholtwerden, kein bißchen anders, und wir kommen auch davon wieder zurück. Und das ist doch'n Scherz. Ist das kein netter Scherz, Baby?
Ingrid: Ja. Das wär' ein Scherz.
Anderson: In Wirklichkeit bin ich nicht hergekommen, um mir deinen Rat zu holen. Ich bin gekommen, um dir zu sagen, was ich tun will. Ich werd' diesen Kerl namens Parelli töten. Ich weiß nicht, wer er ist oder was er ist oder wie nötig er's hat, umgelegt zu werden. Aber ob ich's tu oder ob ihn morgen oder heut' in zwanzig Jahren ein Blitz erschlägt - es wird geschehen. Aber ich werd' ihn töten, weil ich mir
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