23 Uhr, York Avenue
ging das, und wir machten immer weiter mit dem Plan. Sehen Sie, wir wußten ja, daß wir noch etliche Mieter zu sehen kriegen würden, die übers Labour-Day-Wochenende nicht verreist, sondern zu Hause geblieben waren. Nun hatten wir aber nicht die Absicht, die alle in ihren Wohnungen zu fesseln oder zu bewachen, denn dazu hatten wir nicht genug Leute. Statt dessen wollten wir alle, die im Haus waren, in der Wohnung Vier B zusammenbringen, wo die alte Witwe Hathway mit ihrer Haushälterin lebte. Das waren ja zwei richtig antike alte Schachteln, und Duke wollt's nicht riskieren, die beiden zu fesseln und ihnen die Klappe zuzukleben. Also wurde entschieden, wir würden den kompletten Verein in die Wohnung Vier B verfrachten, ihnen allen 'nen höllischen Schrecken einjagen, um sie irre zu machen, und Skeets oder Socks würd' die ganze Bande im Auge behalten. Was konnten die denn schon groß anstellen? Die Telephone waren abgezwackt. Sie wußten nicht, ob wir Ballermänner oder Messer oder was auch immer einstecken hatten. Und schließlich hatten wir sie alle unter einem Hut, wo'n einziger Knabe für Ruhe und Ordnung sorgen konnte, während wir anderen das ganze beschissene Appartementhaus ratzekahl ausräumten. Es war ein fabelhafter Plan …
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Teil eines weitschweifigen Briefes, den Ernest Heinrich Mann am 28. März 1969 an den Autor richtete.
Sehr geehrter Herr,
ich möchte Ihnen für die liebenswürdigen Fragen nach meiner körperlichen Gesundheit und geistigen Kraft danken, die Sie in Ihrem jüngst eingetroffenen Schreiben zum Ausdruck brachten. Ich freue mich aufrichtig, Ihnen die Mitteilung machen zu dürfen, daß ich, Gott stehe mir auch weiterhin bei, gesund und frohen Mutes bin. Das Essen ist einfach, aber reichlich. An Bewegung - im Freien, will ich damit sagen - mangelt es in keiner Weise, und meine Arbeit in der Bibliothek finde ich ungemein lohnend. Es wird Sie vielleicht interessieren, zu erfahren, daß ich mich kürzlich der Lebensweise des Joga zugewandt habe, soweit diese sich auf körperliche Übungen bezieht; die Philosophie spricht mich nicht an. Doch das körperliche Repertoire interessiert mich, da es keinerlei Geräte erfordert, so daß ich es jederzeit in meiner Zelle durcharbeiten kann. Unnötig zu sagen, daß dies viel zur Erheiterung meines Zellengenossen beiträgt, dessen so gut wie einzige Leibesübung sich darin erschöpft, die Seiten des neuesten Bilderheftchens umzublättern, auf welche die Erlebnisse eines Zeitgenossen namens »Supermann im Weltraum« einer eingehenden Betrachtung unterzogen werden! Ich danke Ihnen für Ihr jüngst eingetroffenes Geschenkpaket mit den Büchern und Zigaretten; alles kam wohlbehalten hier an. Sie wollen wissen, ob Sie mir vielleicht mit Lesestoff aushelfen können, der in der Gefängnisbibliothek nicht erhältlich ist. Ja, mein Herr, das könnten Sie in der Tat. Vor einigen Monaten las ich in einer Ausgabe der New York Times , daß es Wissenschaftlern zum erstenmal gelungen sei, ein Enzym im Laboratorium synthetisch nachzubilden. Dies ist ein Thema, das mich über alle Maßen interessiert, und ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir einige Exemplare der wissenschaftlichen Fachzeitschriften, in welchen diese Entdeckung beschrieben wird, beschaffen könnten. Ich danke Ihnen.
Doch nun zur Sache… Sie fragen mich nach der Persönlichkeit und den hervorstechenden Charakterzügen des Mannes, den ich John Anderson nannte. Ich kann Ihnen sagen, daß er ein überaus vielschichtiger Mensch war. Wie Sie sich vielleicht denken können, habe ich bereits vor den Geschehnissen jener Nacht vom 31. August zum 1. September 1968 mit ihm geschäftlichen Umgang gepflogen. Sooft ich auch mit ihm zu tun hatte, erwies er sich als ein Mann von höchster Redlichkeit, außergewöhnlicher Aufrichtigkeit, als vertrauenswürdig und standhaft. Ich würde keine Sekunde zögern, ihm ein Leumundszeugnis oder ähnliches auszustellen, sollte man dergleichen je von mir begehren. Ein Mann von sehr geringer Bildung und sehr hoher Intelligenz - zwei Eigenschaften, die sehr wenig gemeinsam haben, worin Sie mir gewiß beipflichten werden. In allen unseren persönlichen und geschäftlichen Beziehungen strahlte er Kraft und Zielstrebigkeit aus. Möglicherweise empfand ich Furcht vor ihm, was in einem zwischenmenschlichen Verhältnis dieser Art durchaus verständlich ist. Nicht daß er mir je mit körperlicher Gewaltanwendung gedroht hätte; nicht im entferntesten! Doch ich fürchtete
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