23 Uhr, York Avenue
lächerlich, diesen Mann zu ersuchen, den Brief unter der Tür hereinzuschieben. Zweitens müssen Sie wissen, daß wir häufig Aushilfsportiers haben, die an Feiertagen und während der Urlaubszeit an die Stelle unserer regulären Angestellten treten. Also dachte ich mir nichts dabei, als am Labour-Day-Wochenende dieser Mann vor meiner Tür stand, dessen Stimme mir nicht vertraut war. Drittens beunruhigte mich die Tatsache, daß er einen eingeschriebenen Eilbrief für mich hatte - oder behauptete, einen zu haben - nicht im geringsten. Wissen Sie, Psychiater sind es gewohnt, von ihren Patienten zu den ausgefallensten Stunden Briefe, Telegramme und Anrufe zu empfangen. Ich schöpfte keinen Verdacht. Ich entfernte die Kette und schloß die Tür auf.
Zwei Männer stießen die Tür gewaltsam zur Seite und drangen ein. Beide trugen Kopfüberzüge, die anscheinend aus mattfarbenen, halbdurchsichtigen Damenstrümpfen angefertigt worden waren. Die unteren Hälften der Strümpfe waren abgeschnitten. Die oberen Hälften waren über die Köpfe der Männer gezogen und verknotet; dies sollte vermutlich verhindern, daß die Masken heruntergleiten oder heruntergezerrt werden konnten. Einer der Männer, würde ich sagen, war ungefähr eins achtzig groß. Der andere war vielleicht eine Handbreit größer, und ich hatte das Gefühl, dieser Mann sei Neger. Beide waren außergewöhnlich schwer einzuschätzen, da nur verschwommene Umrisse ihrer Gesichtszüge durch die Masken schimmerten; und alle zwei trugen weiße Zwirnhandschuhe. ›Ist Ihre Sekretärin hier?‹ fragte mich der kleinere Mann. Dies waren seine ersten Worte.
Ich bin es gewohnt, mit erregten Menschen umzugehen, und ich glaube, ich meisterte die Situation denn auch ziemlich gelassen.
›Nein‹, sagte ich ihm. ›Sie ist für fünf Tage auf Urlaub gefahren. Ich bin allein.‹
›Schön‹, sagte der Mann. ›Doktor, wir möchten Ihnen nicht weh tun. Bitte legen Sie sich auf den Boden und kreuzen Sie Handgelenke und Fußknöchel hinter sich.‹ Ehrlich gesagt, ich war von seiner Ausstrahlung ruhiger Autorität beeindruckt. Ich wußte natürlich sofort, daß es sich um einen Raubüberfall handelte. Vielleicht waren sie, so dachte ich, meiner Medikamente wegen gekommen. Ich war schon zweimal das Opfer von Raubüberfällen gewesen, bei welchen die Diebe lediglich meine Medikamente haben wollten. Allerdings unterhalte ich in meinem Safe nur einen außergewöhnlich kleinen Vorrat an Drogen. Ich tat, was der Mann von mir verlangte. Ich wurde an Füßen und Handgelenken mit Klebestreifen gefesselt, und dann wurde ein breiter Streifen quer über meinen Mund geklebt. Die spätere Entfernung des letzteren erwies sich, wie ich hinzufügen darf, infolge meines Schnurrbarts als ungemein schmerzhaft. Der Mann fragte mich, ob ich bequem atmen könne, und ich nickte. Ich war sehr beeindruckt von ihm - eigentlich von dem ganzen Unternehmen, wie es sich mir darbot. Es wurde äußerst fachmännisch durchgeführt.«
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Aufnahme NYPD-SIS-Nr. 146-83 C; Vernehmung des Thomas Haskins; Ausschnitt I A vom 4. September 1968. Das Band wurde stark bearbeitet, um bereits vorgelegtes Material nicht erneut wiederzugeben und Hinweise zu entfernen, die gegenwärtig vor Gericht erörtert werden.
Frage: Mr. Haskins, ich heiße Thomas K. Brody, und ich gehöre der Polizeidirektion der Stadt New York als Detektivleutnant an. Es ist meine Pflicht, mich …
Haskins: Thomas! Ich heiß' auch Thomas. Süß, nicht?
Frage: Es ist meine Pflicht, mich zweifelsfrei davon zu überzeugen, daß Sie sich Ihrer Rechte und Privilegien unter den Gesetzen der Vereinigten Staaten von Amerika voll und ganz bewußt sind, zumal Sie einer Tat angeklagt werden, die nach den Gesetzen des Bundesstaats New York ein schweres Verbrechen darstellt. Indessen sind Sie nicht…
Haskins: Oh, die sind mir bewußt, Tommy, alles klar. Die sind mir innig bewußt, bei Gott! Ich kenn' das ganze Gewäsch von wegen Rechtsanwälten und so. Das kannst du getrost auslassen.
Frage: Indessen sind Sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht verpflichtet, irgendwelche wie immer geartete Fragen zu beantworten, die Ihnen von Exekutiv- oder Kriminalbeamten möglicherweise vorgelegt werden könnten. Sie dürfen einen Rechtsbeistand Ihrer freien Wahl anfordern. Falls rechtlicher Beistand für Sie aber unerschwinglich ist oder Sie keinen persönlichen Berater Ihres Vertrauens besitzen, wird das Gericht einen solchen Beistand vorschlagen, der allerdings Ihrer
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