2308 - Die Schattenlosen
aufschieben. Er hatte gern den Rücken frei. Was immer sich hier versteckte, es konnte harmlos sein, doch wer garantierte ihm das?
Er musste es wissen. Außerdem war die EX-1 ein Explorer.
„Selbst die Positroniken waren für einen Moment nicht sicher", meinte Gucky. „Sie gerieten in einen Konflikt zwischen dem, was laut den Karten sein sollte, und dem, was die Instrumente ihnen an tatsächlichen Informationen lieferten. Deshalb der Beinahe-Absturz der Systeme."
„Bevor sie sich wieder stabilisieren konnten", sagte Bré Tsinga. „Und jetzt?"
Bull sah zu Sunto hinüber. Der Kommandant wartete mit deutlicher Skepsis auf seine Befehle. Er fragte sich, ob die Raumfahrer ihre Meinung änderten, wenn sie den Fuß auf eine Welt setzten, die für sie nicht existieren konnte.
„Du brauchst es gar nicht zu sagen", kam Gucky dem Minister zuvor. „Natürlich sehen wir uns um. Der dritte Planet bietet sich geradezu an. Eine sehr erdähnliche Sauerstoffwelt, wenn wir den Instrumenten glauben können."
„Natürlich können wir das", sagte Bull mit nachdenklichem Blick auf Eizmet.
Kurz darauf wussten sie, dass der Planet der Erde nicht nur hinsichtlich der Atmosphärenzusammensetzung auffallend glich, sondern auch fast die gleiche Oberflächengravitation aufwies und geringfügig wärmer war. Es gab Jahreszeiten und zwei kleine Monde.
Es waren keinerlei technologische Strukturen zu orten, nichts, was auf Waffen hindeutete. Eine Gefahr schien nicht von ihm auszugehen. Ebenso glaubten sie nicht daran, dass es sich bei dem irreführenden mentalen Effekt um einen Angriff handelte. Sie nahmen vielmehr an, dass er dazu da war, um Besucher von dem System fern zu halten.
Doch das alles war nicht der Hauptgrund dafür, dass Reginald Bull schließlich die Landung befahl.
Er liebte es nicht, ungelöste Rätsel im Rücken zu haben.
5.
Ela Ela hatte nicht geglaubt, dass es etwas gab, was sie an diesem Tag noch mehr aus dem Gleichgewicht werfen konnte. Sie hatte gedacht, das Schlimmste schon gesehen zu haben; dass alles vielleicht nur ein Albtraum war, aus dem sie irgendwann erwachen würde.
Nun wusste sie, dass sie das nie tun würde. Es war kein Traum, und sie hatte es sich nicht nur eingebildet. Die Welt war krank, die Welt war falsch. Sie konnte sie nicht mehr fühlen.
Das Schlimmste aber waren die Kinder und vor allem natürlich Shana.
Sie hatte es mehr als geahnt. Sie hatte es gewusst, als sie das Dorf erreichte und in die Gesichter der Alten Frauen und Männer sah, die schweigend vor ihren Zelten saßen; die Fragen in ihren Augen: Was? Wieso?
Nur Gorna, die Weberin, war aufgestanden und hatte sie am Arm festgehalten. Sie hatte sie angesehen und gefragt: „Wozu sind wir?"
Die Worte klangen noch in Ela nach, als sie das Leder zurückschlug und sich bückte, um in ihr Zelt zu kriechen. Das Feuer brannte. Bani und Tava saßen davor, um sich zu wärmen, denn es war noch kälter geworden. Bani hatte Shana im Arm. Ihre Augen schimmerten feucht, als sie den Kopf hob und Ela ansah.
Auch die Coralie brauchte nichts zu sagen.
Ela setzte sich zu ihr und nahm ihr das Kind ab. Shanas Haut war fast weiß. Ihre Augen waren zugekniffen, und Shana schrie, weinte und wimmerte. Sie strampelte in Elas Armen.
Sie schaukelte sie und redete auf sie ein, doch sie konnte sie nicht beruhigen.
Die Stirn ihrer Tochter glühte. Aus Shanas Mund quoll gelblicher Schleim.
Sie zitterte. Endlich hörte sie auf, zu schreien und mit den kleinen Ärmchen um sich zu schlagen. Plötzlich lag sie an Elas Brust wie tot.
„Es ist überall so", sagte Tava. „Die Kinder ... und die Alten. Sie leiden am meisten."
„Ich habe sie gesehen", antwortete Ela. „Gorna hat zu mir gesprochen. Sie sind ..."
„Sie leiden anders als die Kinder", sagte Bani. „Die Kinder haben Schmerzen und Fieber, und eines ist ..."
„Ja?", fragte Ela, als sie nicht weitersprach.
Bani schloss die Augen. „Ofras kleiner Junge ist ... Wir wissen nicht, wie lange er noch leben wird."
„So schlimm ist es?", fragte Ela entsetzt und streichelte über das pechschwarze Haar ihrer Tochter.
„Die Kinder sterben vielleicht", sagte Tava. „Die Alten aber ... leiden im Herzen. Sie wissen nicht mehr, was sie ... wozu sie ..."
Wozu sind wir? Gornas Frage!
„Ich verstehe", sagte Ela. Dabei verstand sie gar nichts.
Für eine Weile schwiegen die Fischerinnen. Ela wiegte das Kind in ihren Armen und versuchte immer wieder, es dazu zu bringen, die kleinen Augen zu öffnen.
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