2309 - Die Augen von Charon
einmal, weil er für sie irrelevant war.
Aber er war der Kommandeur. Und er hatte nicht die Absicht, sich den Zorn oder auch nur die Aufmerksamkeit des Progress-Wahrers zuzuziehen. „Können wir uns jetzt wieder unserer eigentlichen Aufgabe widmen?" Er warf einen Blick auf die Holodarstellung der Schiffe, die sie aus dem Schutz des Dunkelfelds entdeckt hatten. Es waren drei Einheiten einer Machtgruppierung dieser Ressourcen-Galaxis, die sich Kristallimperium nannte, zwei Kugelraumer mit Ringwulst sowie ein größeres, annähernd kelchförmiges Schiff. Sie konnten sie wahrscheinlich problemlos vernichten, genau wie sie vor einer Weile einen identischen Konvoi dieses Reiches vernichtet hatten.
Ain Cokkry wusste nicht, welchem seiner Besatzungsmitglieder er Recht geben sollte. Natürlich mussten sie vorsorglich weiterhin die Umgebung säubern. Aber sie mussten auch verhindern, dass der Feind von ihrer Anwesenheit erfuhr.
Dennoch hatte er kein Verständnis dafür, dass seine Besatzungsmitglieder wegen solch einer Frage handgreiflich wurden. Sie hätten seine Entscheidung abwarten müssen. Was war los mit den Charnaz Bakr? Hatten sie ihre eigentliche Aufgabe vergessen? Ihre Daseinsberechtigung?
Er ahnte, was er nun auch sagen würde, es würde falsch sein. Keiner der beiden würde sich damit zufrieden geben, jeder würde auf seinem Standpunkt beharren.
Er konnte nur an ihre Vernunft appellieren. Er wusste, sie waren nicht mehr so mächtig wie ihre fernen Vorfahren. Sie verfügten nicht über deren überlegene Intelligenz oder physische Macht. Ihre Körper erlaubten ihnen nur noch unermüdliche Arbeit, insgesamt sehr kräftig und bei Bedarf hinreichend geschickt.
Ain Cokkry fragte sich kurz, woher diese Erinnerungen an eine Vergangenheit kamen, die sie niemals kennen gelernt hatten. „Ich ..." Technikoffizier Myk Dennso zögerte kurz. „Ich kümmere mich um die Optimierung der Systeme", sagte er dann. „Alle weiteren Entscheidungen überlasse ich der Schiffsführung."
Der Kommandeur atmete erleichtert auf. Doch im nächsten Augenblick überkam ihn schiere Verzweiflung.
Er hatte gehofft, diese kleine Krise intern regeln zu können, ohne dass der Beobachter etwas von diesem kleinen Disput mitbekam.
Aber nun wurde ihm klar, dass er sich getäuscht hatte. Er spürte ihn schon lange, bevor er ihn sah.
Der Kolonnen-Motivator kam, würde jeden Augenblick die Zentrale der ACARO 1033 betreten.
Ain Cokkry fluchte leise. Dann war der Beobachter da.
Der Kommandeur fragte sich, ob er die wahre Gestalt des Wesens sah, das in die Zentrale schwebte, und ob man überhaupt von einer Gestalt sprechen konnte. Ain Cokkry machte einen wabernden Nebel von veränderlicher Form aus, etwa um die zwei Meter groß und stets in sachter, wallender Bewegung. Er glühte dunkelrot von innen heraus und veränderte sich von Sekunde zu Sekunde. Der Kolonnen-Motivator war ein ätherisches, nicht fassbares Wesen, dessen Essenz niemand an Bord verstehen konnte.
Er hatte noch nie gesprochen, nicht ein einziges Wort. Er hatte sich nicht vorgestellt, als er an Bord gekommen war, auf keine Weise mit dem Kommandeur oder einem anderen Besatzungsmitglied kommuniziert. Ain Cokkry hatte eine Weile darauf gewartet, dass der Beobachter ihm vielleicht mit der Kraft seiner Gedanken mitteilte, was er von ihm erwartete oder verlangte, doch nicht einmal das war geschehen, und schließlich hatte der Kommandeur die Hoffnung aufgegeben, von dem seltsamen Wesen irgendetwas zu erfahren.
Der Kolonnen-Motivator war einfach nur da. Er nahm keinen Einfluss auf die Besatzung, dirigierte nicht, erteilte ihr keine Anweisungen oder Befehle. Eigentlich hätte man meinen können, es gäbe ihn gar nicht.
Und doch bewirkte er etwas. Es war nicht die Angst vor einer Meldung an den Progress-Wahrer, die die Mannschaft veranlasste, sich zurückzuhalten und die Disziplin zu bewahren.
Eher war es die Angst vor dem Beobachter selbst, vor seinen Fähigkeiten. Niemand konnte genau sagen, wozu er imstande war.
Nur eins war mittlerweile klar: Er veränderte die Charnaz Bakr.
Ain Cokkry spürte es in dem Augenblick, in dem der Motivator die Zentrale betrat. Mit einem Schlag verflogen sämtliche Zweifel, die er in Bezug auf die Mission vielleicht gehegt hatte. Der Zorn, den er auf den Feuerleitoffizier und den Technikoffizier gehegt hatte, ebbte ab, bis er nicht einmal mehr wusste, womit sie sein Missfallen erregt hatten.
Eine gelöste Stimmung erfasste ihn, fast schon eine
Weitere Kostenlose Bücher