2310 - Strukturpiloten
Ahnungslosigkeit, Eckpfeiler unserer Existenz! Wer wollte noch weiterleben, wüsste er um das Grauen, das die Zukunft für ihn bereithält?
Im Künstlerviertel von Terrania, der Hauptstadt der Erde, konsultierten die etwas verschrobenen Eltern des neunjährigen Marc London eine Wahrsagerin. Diese prophezeite dem Knaben eine der Hauptrollen in einem Drama, das galaxisweit Furore machen würde. Das Schauspielerpaar sonnte sich freudig im Missverständnis, ihr Söhnchen werde einmal erfolgreich in ihre Fußstapfen treten ...
Und Kempo Doll’Arym, dessen Lebensweg sich mit Marcs so fatal kreuzen würde, hatte wiederum gänzlich andere Sorgen. Er schwebte zwei Handbreit über dem Erdboden und war doch todunglücklich zugleich.
Denn seine Liebe schien aussichtslos, von vornherein zum Scheitern verurteilt.
*
Auharas Aufenthaltsort hatte er dank Sheerdurns Beziehungen binnen weniger Stunden ausgeforscht. Sie bewohnte mit ihrer Gouvernante eine Suite in einem Hotel am Völkermarkt-Ring.
Dass sich ihre Familie eine derartige in den Festwochen sündteure, bestimmt schon vor Jahren reservierte Bleibe leisten konnte, dafür lieferte Auharas Nachname eine einfache Erklärung.
Kempos und Sheerdurns Recherchen bestätigten: Seine Angebetete war die Tochter von Khal Pif’Deran, dem Regierungschef des Planeten Bocyn und somit einflussreichsten Mann im Dubox-System.
„Etwas niedriger hättest du dir die Latte wohl nicht legen können, was?", neckte ihn der Alte. „Es muss gleich die begehrteste Partie der ganzen Nation sein."
„Mir doch vollkommen egal, aus welchem Clan sie stammt! Das tut überhaupt nichts zur Sache."
Aber so war es nicht. Kempo wusste, dass er sich in die eigene Tasche log.
„Gib’s auf", riet Sheerdurn. „Diese Trauben hängen zu hoch, an die kommst du nie und nimmer ran. Du wirst es verwinden. Andere Mütter haben auch schöne Töchter."
Das stachelte Kempos Entschlossenheit erst recht an. Obwohl es dessen gar nicht bedurft hätte. Seine Sehnsucht war grenzenlos. Er musste das hübscheste Mädchen des Universums wiedersehen, koste es, was es wolle!
Der Reichtum und die hohe Position ihres Vaters stellten noch die geringste Hürde dar. Strukturpiloten waren ebenfalls angesehene Leute, beim Volk sogar um einiges beliebter als Politiker. Zudem gestaltete sich die Gesellschaft der Dubox-Nation hierarchisch wenig abgestuft. Die Stände und Gilden wurden im Wesentlichen als ebenbürtig betrachtet, obzwar ein Großgrundbesitzer und Gutsherr wie Khal Pif’Deran ungleich wohlhabender war als etwa Danoit oder Sheerdurn. Strukturpiloten legten traditionell nicht viel Wert auf materiellen Besitz.
Ihre Herkunft stand also nicht zwischen ihm und Auhara; sehr wohl aber ihre Gouvernante. Die Grobknochige ließ das Mädchen keine Sekunde aus den Augen. Das erfuhr Kempo von einem Schulkollegen, der zur Hochsaison im Hotel aushalf.
Andererseits brachten die familiären Umstände der Derans auch ein Gutes mit sich: Wie derselbe Informant preisgab, würde Auhara bis zum abschließenden „Rummel der Nationen" auf Aram Tachady verweilen. Das milderte den Zeitdruck ein wenig; Kempo brauchte nichts zu überstürzen.
Auf glühenden Kohlen saß er dennoch. Jede Stunde, die er nicht in ihrer Gegenwart verbrachte, erschien ihm sinnlos vergeudet.
Einen Plan nach dem anderen wälzte und verwarf er zusammen mit Sheerdurn. Es konnte doch nicht einfacher sein, in eine Strukturdolbe zu gelangen, als zu der Person, die man liebte!
Denkste. Die grässliche Gouvernante schirmte Auhara ähnlich perfekt gegen Verehrer ab wie ein guter Strukturpilot sein Schiff gegen die tödlichen Strömungen des Gestöbers.
Der Drachen bewachte die Prinzessin und ließ, ganz wie im Märchen, den Ritter nicht an sie heran. Es gab kein Durchkommen, keine Möglichkeit zur Kontaktaufnahme, weder persönlich noch in postalischer Form.
Endlich, drei Tage nach ihrer ersten, ach so flüchtigen Bekanntschaft, bekam Kempo doch eine Chance. Sein im Hotel arbeitender Kumpel steckte ihm, dass Auhara an einer Veranstaltung im Planetarium teilnehmen werde; natürlich samt Gouvernante.
Die Unterstadt war, im Gegensatz zum Luxushotel, den städtischen Theatern und sonstigen Prunkräumen, Kempos und Sheerdurns ureigenstes Revier.
Niemand kannte sich in den Sub-Ebenen besser aus als sie beide. Zudem gehörte der Alte dem Kreis derjenigen an, die das auch „Minimundus" genannte Planetarium ehrenamtlich betreuten.
Diesen Vorteil galt es zu nutzen.
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