232 - Höllisches Paradies
kniff die Lippen zusammen.
Es gab nur eine Möglichkeit, die Überlebenden und sich selbst zu retten: Er musste die Sprengladung in der Maschine zünden und versuchen, die tödliche Fracht zu vernichten. Das hätte er schon gleich nach der Bruchlandung tun sollen, anstatt in Panik das Weite zu suchen und den Auslöser – die modifizierte Pistole – zurückzulassen.
Sein Atem ging schwer, als er sich zur Be-300 aufmachte. Er beugte sich gegen den Wind. Seine Augen brannten. Ein fauliger Gestank lag über der Insel. Es fiel ihm schwer, eine Tageszeit auszumachen, obwohl seine Uhr frühen Nachmittag zeigte.
Von einer Anhöhe aus entdeckte Stanislav das Flugzeugwrack. Wie ein verletztes Tier lag die Berijew auf der Seite. Sie hatte eine tiefe Spur in den Sand gegraben, ein Flügel fehlte, die Nase steckte tief in einer Palmenwurzel. Die sonst so glänzende Titaniumlegierung sah grau und schmierig aus.
Aber das war unwichtig, waren nur Äußerlichkeiten. Es ging um die giftigen Stoffe an Bord. Wie weit musste er sich der Be-300 nähern, um den Sicherungshebel der Tokarev betätigen zu können? Und wie heftig würde die Explosion ausfallen?
Er probierte es von dem Hügel aus – nichts geschah.
Also näher heran.
Und noch näher…
Als Stanislav schließlich direkt vor der Be-300 stand, hatte er längst begriffen, dass es so nicht funktionieren würde. Entweder hatte der Auslöser Schaden genommen oder das Empfangsteil. Er würde in die Maschine vordringen müssen, um etwas zu erreichen.
Aber wäre das nicht sein Todesurteil?
Ächzend zog sich Stanislav den Flügel hoch und schaute in das Cockpit.
Sein Herz übersprang einen Schlag.
Dr. Artjenkos Leiche war verschwunden!
Aber wie war das möglich? Artjenko war von einem massiven Behälter eingequetscht worden. Hatte Sukarno sich die Mühe gemacht, den Toten aus der Kanzel zu zerren, um ihn zu begraben? Wohl kaum! Der junge Mann hatte mit Sicherheit genug damit zu tun gehabt, sich vor dem Sturm in Sicherheit zu bringen. Außerdem hatte Stanislav rund um die Maschine keinen Grabhügel gesehen.
Von alleine kann er wohl kaum verschwunden sein, dachte er. Eiskristalle rieselten über seine Wirbelsäule. Seine Haare sträubten sich. Sein Instinkt brüllte: Gefahr! Er blickte sich um, aber alles schien ruhig.
Irgendein Tier musste sich die Leiche geholt haben. Lauerte es jetzt darauf, Stanislav anzugreifen? War es vielleicht sogar noch in der Maschine?
Und dann sah er die Blutspur. Sie begann auf dem Sitz des Piloten, zog sich bis zur offenen Kanzel hin, setzte sich an der Außenhaut des Flugzeugs fort, und sogar im Sand konnte er bei genauerem Hinsehen einige dunkle Flecken erkennen.
Aber keine weiteren Spuren, die auf ein Tier schließen ließen, nicht einmal auf Sukarno, der hier die Nacht verbracht und sich dabei infiziert hatte. Es schien fast, als hätte sich Dr. Artjenko selbst ins Freie geschleppt. Was unmöglich war. Erstens war er tot, das hatte der Indonesier ja auch bestätigt, zweitens hätte er sich nie von dem Behälter befreien können.
Tausend Gedankensplitter drehten sich im Kopf des Piloten. Sein Vorsatz, es hier und jetzt zu Ende zu bringen, kam ins Wanken. Die Panik, lange unterdrückt, wühlte sich mit scharfen Krallen zurück an die Oberfläche seines Verstandes.
Weg hier!, schrie es in ihm. Zurück zum Schutzraum!
Hastig verließ er die Maschine, rutschte die Tragfläche hinunter. Er taumelte mehr, als dass er lief. Die Strapazen und die Angst betäubten seine Gliedmaßen und seinen Verstand; er bewegte sich und dachte wie durch Watte hindurch.
Als er Stunden später beim Schott anlangte, war er am Ende. Kraftlos schlug er gegen den Stahl. Keine Reaktion von innerhalb.
Als er daran zerrte, merkte er, dass der Eingang unverschlossen war. Er öffnete das Schott und starrte in die Dunkelheit dahinter.
»Hallo?« Keine Antwort.
Dafür erklang hinter einem Sandhügel rechts von ihm ein Stöhnen. Stanislav fuhr herum. Nach kurzem Zögern folgte er dem Geräusch. Warum nur hatten die Indonesier den sicheren Schutzraum verlassen?
Stanislav überwand die Bodenwelle – und prallte mit einem unterdrückten Aufschrei zurück. Zu seinen Füßen lag ein Mann. Weit aufgerissene Augen starrten in den Himmel. Er war tot!
Oder nein… Wie von Fäden gezogen richtete er in diesem Moment seinen Oberkörper auf. Aus einem grinsenden Mund lief gelber Schleim. Das von der Schädeldecke befreite Gehirn schimmerte feucht. Dann fiel er mit einem
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