232 - Höllisches Paradies
hatte.
Matt stieß auf tierische Überreste, vertrocknete Innereien. Verschlungene Eingeweide, das Rückgrat eines Wesens mit zwei Köpfen, und daumengroße Fleggen, die sich an dem Aas labten.
Hinter Matt raschelte es.
Er fuhr herum, riss wieder die Waffe hoch. Hörte der Schrecken denn niemals auf?
Ein dunkler Schatten wuchs direkt vor ihm in die Höhe!
***
9. Februar 2012, Ashmore-Inseln
Stanislav gönnte sich eine Mütze Schlaf. Für die anderen war er wie Luft. Wie er festgestellt hatte, waren sie allesamt Indonesier – was merkwürdig war, denn die Bohrstationen wurden, so weit er wusste, von Australien betrieben. Hatte man die englischsprachige Besatzung evakuiert und die Südostasiaten »vergessen«? Oder hatten die darauf bestanden, hier zu bleiben? Eher unwahrscheinlich.
Auch der Muskelquader ignorierte ihn, lediglich seine Blicke wirkten bedrohlich. Die Frau, die jener getröstet hatte, versorgte ihm die gebrochene Nase. Man streifte Stanislav mit ängstlichen Blicken. Es war zum Kotzen! Warum gab es keinen anderen Weg als den der Gewalt?
Es pochte an der Eisenluke.
Die Frau mit dem langen Zopf fuhr hoch. In ihrem Gesicht, mit ihrer Gestalt ging eine wundersame Wandlung vor. Sie lief die Stufen zur Klappe und drückte diese auf. Ein kühler Wind strich herein. Es stank nach Ozon. Obwohl zweifelsohne Tag, war es draußen noch immer dunkel. Die Silhouette eines Mannes füllte den Rahmen aus. Seine Augen leuchteten in einem dunklen Gesicht genauso weiß wie das T-Shirt. Er trug einen Rucksack bei sich.
»Sukarno!«, kreischte die Frau und fiel dem Mann in die Arme. Der drückte die Frau an sich und schob sich dabei weiter in den Schutzraum, damit jemand die Luke schließen konnte. Sie küssten sich. Drückten sich aneinander. Die Asiatin strich dem Mann über den haarlosen Kopf.
Wie wild redeten die Schutzsuchenden der Bohrmannschaft und die Frauen durcheinander. Sie bestürmten Sukarno – ebenfalls ein Indonesier. Stanislav verstand mal wieder kein Wort. Obwohl er sich sicher war, dass die meisten hier zumindest ein paar Brocken Englisch sprachen. Aber so hielten sie ihn aus ihrer Gemeinschaft heraus. Da war es gut, dass Sukarno nicht nur sprach, sondern auch farbig gestikulierte.
Er war in einem Flugzeug gewesen, las Stanislav aus den Gesten. Dort hatte er sich vor dem Sturm in Sicherheit gebracht. Ein Flugzeug? Das konnte nur die Berijew gewesen sein!
Sukarno kratzte sich. Er trug blutige Male auf der Kopfhaut.
Im Flugzeug hatte er die Nacht überstanden. Da gab es einen Toten, einen Mann mit Brille. Zerquetscht. Dr. Petja Artjenko, klar. Dann hatte er den Rucksack gefunden und alle möglichen Dinge eingesammelt, die man vielleicht noch gebrauchen konnte.
Erneut kratzte sich Sukarno. Stanislavs Blick folgte der unbewussten Bewegung. Krustige Streifen auf dem Handrücken des Mannes. Seine Unterarme glühten flammendrot.
Stanislav fuhr es eiskalt über den Rücken.
Lieber Himmel! Hatte der Kerl in der tödlichen Ladung herumgeschnüffelt? Einen der Behälter geöffnet? Sich mit irgendeiner Seuche infiziert?
Sukarno hielt triumphierend den Rucksack hoch und stülpte ihn aus. Der Inhalt purzelte auf den felsigen Boden.
Danach bohrte er seine Fingernägel in den Unterarm und riss sich Haut vom Fleisch. Das blieb der Frau mit dem geflochtenen Zopf nicht verborgen, die mit einem beherzten Griff das Tun ihres Liebsten unterband. Dabei sagte sie etwas mit sanfter Stimme. Offensichtlich hielten sie und die anderen die Verletzungen für die Folgen des Sturms. Verlegen kratzte sich Sukarno am Nacken und hob wie entschuldigend die Schultern.
Vor seinen Füßen verteilten sich ein Logbuch, ein Flachmann, Dr. Artjenkos schriftlicher Befehl, eine Fliegerkappe… die Pistole!
Man drehte sich zu Stanislav um. Wies auf die Gegenstände.
»Ja, die gehören mir!«, sagte Stanislav. »Ich bin der Pilot des Flugzeugs. Wir mussten notlanden!«
Vielleicht hatten sie begriffen. Einige nickten. Andere runzelten die Stirn.
Im selben Moment machte der Dicke ein paar Schritte vorwärts, griff nach der Pistole und zielte auf Stanislav. Das zweite Mal in kurzer Zeit, dass eine Waffe auf mich gerichtet ist, dachte Stanislav, schloss ergeben die Augen und atmete innerlich tief durch. Alles ereignet sich zweimal. Einmal als Tragödie, einmal als Farce. Er hatte die Schnauze voll. Er hatte seine Frau verloren, seine Tochter, seinen Freund, seinen Glauben. Es war sowieso alles egal. Sollte sie doch tun,
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