Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
232 - Höllisches Paradies

232 - Höllisches Paradies

Titel: 232 - Höllisches Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
Vom Netzwerk:
Bohrturms. »Ich begleite Sie, Matt! Aber vorher schauen wir noch in unserem Versteck vorbei. Es ist nicht weit von hier und wir werden automatische Waffen gut gebrauchen können.«
     
    ***
     
    11. Februar 2012, Ashmore-Inseln
    Stanislav war gestorben, bevor er dem Tod begegnet war.
    Man hatte ihm seine Habe und auch die Waffe zurückgegeben. Eine ungeheuerliche und gleichsam zutiefst humanistische Geste. Was um alles in der Welt ging in den Überlebenden der Ölkolonie vor sich? Warum verhielten sie sich so irrational? Weil sie keine trainierten Soldaten sind, vermutete Stanislav. Weil gewöhnliche Menschen selten logisch handeln! Schon gar nicht, wenn sie unter Stress stehen. Die Rückgabe der Waffe und der Gegenstände war aus Mitleid geschehen, so viel hatte Stanislav erkannt. Sie gaben dem Russen seine Würde zurück.
    Und sie ließen Stanislav in Ruhe. Versorgten ihn mit dem Nötigsten, zeigten ihm, wo er sich erleichtern konnte. Jetzt kauerte er mit angezogenen Beinen in einer Ecke, beobachtete. Und wartete darauf, dass sie die Wahrheit erkannten und ihn doch noch töten würden; diesmal aus Rache.
    Denn Sukarno hatte das Unheil zu ihnen gebracht…
    Es war ganz schnell gegangen. Wenige Stunden nach seinem Eintreffen war Sukarno zusammengebrochen. Seither schrie er vor Schmerzen.
    Der junge Mann litt. Sein Lager war durchgeschwitzt. Er hatte hohes Fieber. Die Frau tröstete ihn, kühlte seine Stirn, weinte und tröstete erneut.
    Was wisst ihr schon, dachte Stanislav. Das ist erst der Anfang. Wir Menschen haben uns diesen Mist eingebrockt. Wir haben uns selbst vernichtet.
    Das war Armageddon! Der Komet hatte die Schale der menschlichen Unzulänglichkeit gesprengt. Zum Vorschein gekommen war ein Monster. Unsichtbar. Unsagbar winzig. Tödlich!
    Nach viele Stunden Leid bäumte Sukarno sich ein letztes Mal auf und starb. Die Frau mit dem Zopf warf sich über ihn. Ihre Trauer füllte den Schutzraum aus wie ein bitterer Odem. Nicht wenige Frauen weinten. Hartgesottene Männer, Ölarbeiter, mit einer Schale so rau wie Sand, blickten bitter drein. Schwiegen. Knieten neben dem Verstorbenen nieder. Einige von ihnen beteten.
    Stanislav kritzelte seine Beobachtungen in das Logbuch. Schon immer hatte er dieses Buch mit Akribie geführt. Das würde sich auch jetzt nicht ändern. Im Gegensatz zu früher indes formulierte er nun auch seine Pläne, die Zukunft, die Möglichkeiten. Das war es, was ihm noch blieb. Was ihn noch mit seinem Beruf verband.
    Dann plötzlich wandten sich die Menschen ihm zu. Fast so, als sei ein geheimer Befehl durch ihre Gedanken geschossen.
    Murrend umringten sie ihn. Sie nagelten ihn mit Blicken fest, tuschelten miteinander, wiesen auf ihn wie auf ein fremdes Wesen, vor dem sie sich fürchteten und das sie gleichermaßen hassten.
    Dieser Russe hat das Flugzeug gelandet. Seht ihn euch an! Dieser Russe hat mitgebracht, was Sukarno tötete.
    Wie sonst sollte man sich dessen Tod erklären?
    Stanislav war vorbereitet. Er steckte das Logbuch in seine Jacke und zog die Tokarev. Es befanden sich drei Kugeln im Magazin. Seine Geste der Unterwerfung vor zwei Tagen war echt gewesen, denn er hatte nichts zu verlieren gehabt. Jetzt war wieder Hoffnung in ihm aufgekeimt, und er wollte sich nicht in sein Schicksal ergeben.
    Er wusste, dass es nur einen einzigen Ausweg gab. Sie würden ihn büßen lassen, um ihrer Trauer, ihrer Angst, ihrer tiefen Depression Herr zu werden. Sie benötigten ein Opfer. Der Respekt, den sie vor seinem Eigentum und somit vor ihm gezeigt hatten, war seit dem Tod des jungen Mannes vergessen.
    »Geht mir aus dem Weg!« Stanislav schob sich an der Wand hoch. Seine verkrampften Beine schmerzten.
    Sie schienen zu begreifen, denn sie traten zur Seite. Erschien da Erleichterung auf ihren Gesichtern? Tat er ihnen einen Gefallen? Nahm er ihnen die Verantwortung für eine Bestrafung ab? Der Dicke trat ihm in den Weg und spuckte ihm vor die Füße. Dann stieß er die Luke auf. »Bekeok!«, schrie einer.
    »Bekeok!«, tönten andere, bis daraus ein unheimlicher Chor wurde.
    Stanislav kletterte nach draußen. Eisige Kälte stahl sich sofort unter seine Fliegerjacke. Über der Insel lag der Winter der Apokalypse.
    Hinter ihm krachte die Luke ins Schloss.
    Er hob den Kopf in den Nacken. Schwarze Flocken fielen vom Himmel. Sie schmeckten nach Ruß und Asche. Zu seinen Füßen verdorrten die Pflanzen. Am Fuße einiger geknickter Palmen sprossen weiß schimmernde Pilzgeflechte aus der Erde.
    Stanislav

Weitere Kostenlose Bücher