236 - Gestrandet
Ellsworth‹ meinte, doch in seiner Erinnerung hatte ein gewisser Lincoln Ellsworth das so genannte »Amerikanische Hochland« in der Antarktis erforscht.
Als die Sanis einen Leichensack entfalteten, stand Bob Kenner auf. Er fühlte sich elend. Wahrscheinlich war Raynas Id irgendwo dort draußen vergangen, warum auch immer. In diesem Moment musste auch ihr Körper gestorben sein. Er machte sich bittere Vorwürfe, dass er die Suche nach ihr zugunsten der nach Agent Nummer Zwo aufgegeben hatte.
Kenner wollte Raynas Abtransport nicht sehen. Tränen schossen ihm in die Augen. Er lief hinaus und verkroch sich in seinem Quartier. Später suchte er Moriarty in seinem Labor auf. Der wirkte grau und müde, stellte Routinefragen und trug Kenners nichts sagende Antworten in die Checkliste ein.
»Sie sehen nicht gesund aus, Lieutenant«, sagte Moriarty plötzlich.
Kenner nickte. »Sie sind sicher nicht überrascht, wenn ich Ihnen sage, dass mich Raynas Tod fürchterlich mitnimmt.«
Moriarty seufzte. »Mir geht’s doch nicht anders. Gehen Sie ein paar Stunden schlafen«, sagte er. »Vielleicht hilft’s ja.«
Bob Kenner ging hinaus. Als er sein Quartier betrat, saß eine Gestalt auf seiner Koje.
»LC Cody?« Kenner war fassungslos.
»Hallo«, sagte der Leitende Ingenieur leise. Er beugte sich vor. »Ein Mann in meiner Position hat normalerweise keinen Grund, einen Lieutenant in seinem Quartier zu besuchen. Als kluger Kopf ziehen Sie aus meiner Anwesenheit aber zweifellos den richtigen Schluss.«
»Nummer Zwo!«
»Nummer Zwo?« Cody lachte leise. »Ach ja, ich verstehe. Sie haben mich bereits erwartet, Kenner. Wahrscheinlich wissen Sie sogar längst, dass ich es bin, nicht wahr? Mit Ihren Geistreisen dürfte das doch überhaupt kein Problem gewesen sein.«
Kenner empfand eiskalte Wut. Sie kroch in ihm hoch, benebelte fast seinen Verstand. Angesichts der Furcht, die er seit dem Abend mit Mandy erlitten hatte, empfand er große Lust, Cody alle Knochen im Leibe zu zerbrechen. Was bildete sich dieser Verräter ein? Welchen Wert hatten Menschen für ihn? Hielt er sie für Schachfiguren? Waren sie nur auf der Welt, um seinen Zwecken zu dienen? Waren sie für ihn Kanonenfutter, das man in die Luft sprengte, wie es einem passte?
»Ich seh’s an Ihrem Gesicht«, sagte Cody. »Sie fragen sich gerade, was einen aus gebildeten Kreisen stammenden Menschen mit einer gewissen Schulbildung dazu bringt, sich den Kriegern Allahs anzuschließen.«
Bob Kenner nickte. »So ungefähr.«
Codys Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Der kalte Hass in seinen Augen besagte jedoch, dass er gar nicht fröhlich war. »Ich weiß ja nicht, warum Sie diesem erlauchten Club beigetreten sind. Sie werden’s mir sicher erzählen, Kenner. Ich jedenfalls habe mich diesen Leuten im Oktober 2008 aus anderen Gründen angeschlossen.«
Cody bleckte die Zähne. Er schien ein ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis zu haben und froh zu sein, dass er sich einem Komplizen anvertrauen konnte. »Ja, 2008 bereits. Da war mein Vater gerade aus dem vierzigsten Stock eines New Yorker Hotels in die Tiefe gesprungen. Meiner Mutter und meinen Geschwistern wurde an diesem Abend klar, dass sie bald nicht nur obdachlos und auf die Mildtätigkeit der Sozialämter angewiesen sein, sondern auch zu denen gehören würden, für die sie bislang nur Hohn und Spott übrig gehabt hatten.« Er räusperte sich. »Meine Mutter nahm sich mit Tabletten das Leben, mein Bruder Gary mit Autoabgasen. Mein Bruder Ethan besoff sich bis zur Besinnungslosigkeit und fiel auf dem Heimweg vor einen Bus. Meine Schwester Edie wartete nicht auf den Gerichtsvollzieher: Sie tauchte mit dem Familienschmuck und allem Bargeld unter. Ich hab nie wieder etwas von ihr gehört.«
Kenner schaute Lieutenant Commander Cody an. Er ähnelte Ty Hardin, aber Bob Kenner war der einzige Mensch auf dem Planeten, der sich noch an diesen Mann erinnerte.
»Und warum das alles?«, fuhr Cody fort. »Ich sage es Ihnen: Mein Vater hatte sein Vermögen bei einer Bank angelegt, deren habgierige und schurkische Geschäftsführung glaubte, sie könnte mit faulen Immobilienkrediten gute Geschäfte machen.« Cody gestattete sich ein Seufzen. »Früher habe ich militant die Ansicht vertreten, der Staat solle seine Pfoten so weit wie möglich aus den Angelegenheiten der Bürger heraushalten und es den Unternehmern möglich machen, die Welt zu gestalten. Nach der Katastrophe von 2008 hat sich meine Meinung geändert.« Er lächelte.
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