2378 - Der Erste Kybernetiker
zu, das jedes Wort in die Beobachtungskammer übertrug. „Bald", sagte Myhr. „Besuche erst einmal die Hyperdim-Matrix und bringe dein astrochemisches Wissen ein. Finde eine Schnittstelle, die für dich geeignet ist, und teste die Existenz in der Matrix. In einer Stunde löse ich deine Verbindung. Dann liegt es an dir. Öffnest du das Etui, schiebe ich die SERT-Haube wieder über deinen Kopf. Oder du legst es weg. Dann wirst du in dein altes Leben zurückkehren."
„Leben?", fragte der Grauhaarige, und Savoire wusste schon in diesem Augenblick, wie die Entscheidung des neuen Prozessors ausfallen würde.
Er täuschte sich nicht.
Eine Stunde später sprang das Etui unter dem Griff zitternder Finger auf.
Sekundenlang sprühte der winzige Ball darin schillernde Funken und zehrte dabei seine Masse auf. Astuin verband den Körper des Prozessors zum zweiten und letzten Mal mit dem paramechanischen Netzwerk, und wiederum eine Stunde später transportierte er auf der Antigravliege einen Toten ab.
Nummer siebenunddreißig.
*
Noch am selben Tag folgten zwei weitere.
Nummer achtunddreißig besuchte ESCHER schon seit einigen Wochen. Es handelte sich um einen gelähmten jungen Mann, dessen Knochenschwundkrankheit zu einer vollständigen Zersetzung eines Großteils der Wirbelsäule geführt und damit unheilbare Nervenschäden bewirkt hatte. Jede Nachzucht oder Transplantation scheiterte, weil sie sofort infiziert und mit höherem Tempo als zuvor zersetzt wurde.
Savoire kannte sogar seinen Namen. Morn Jorgensen. Ein sechsundvierzig Jahre alter brillanter Mathematiker.
In den frühen Abendstunden verstarb Lursa Betua, eine Altphilologin, die lange an der Universität von Terrania unterrichtet und Textgeschichte des frühen Mittelalters der alten Zeitrechnung gelehrt hatte, bis sie bei einem Gleiterunfall beide Beine verloren und die Hälfte ihrer Körperoberfläche Verbrennungen schwersten Grades davongetragen. hatte.
Am nächsten Tag erhielt das Leichenhaus einer nahen Klinik drei weitere an „Herzversagen" gestorbene Prozessoren.
Savoire beobachtete unablässig und wusste noch immer nicht, wie er die Lage beurteilen sollte. Entsetzen wechselte sich mit Faszination ab, der Wunsch, Leben zu retten, mit Erbarmen. Die ethischen Bedenken des Ersten Kybernetikers änderten nichts daran, dass die Todkranken mit einem Lächeln starben.
Leisteten die Avatare nichts weiter als Sterbehilfe und boten den Prozessoren darüber hinaus die Möglichkeit ewigen, erfüllten Lebens? Etwas in Savoire sträubte sich gegen diese Auffassung. Auf seinem Heimatplaneten Diakat war Euthanasie verpönt.
Am Abend dieses Tages klärte sich für ihn ein weiteres Rätsel, über das er schon lange nicht mehr nachgedacht hatte. Er wollte in seine Wohnung zurückkehren und betrat aus einem Impuls heraus das Sicherheitsbüro, in dem Merlin Myhr gerade mit einer älteren Frau sprach, deren Mimik eine Maske aus Trauer und gefasstem Leid bildete. Ihr Gesicht wurde als kleine Holografie vor der Kommunikationsanlage projiziert. „Dein Bruder starb, während er der Regierung einen großen Dienst erwies", sagte Myhr. „Trotz seiner Krankheit zögerte er keinen Augenblick, als ich ihn als Gesandter des TLD bat, diese kriegswichtige Aufgabe wahrzunehmen und eine geheime Anlage als Sachverständiger auf dem Gebiet der Hyperphysik zu inspizieren. Dafür gebührt ihm Dank. Er ist überraschend verstorben, doch er konnte im Bewusstsein gehen, Terra einen letzten Dienst erwiesen zu haben."
Zu Savoires Überraschung nickte seine Gesprächspartnerin. „Ich danke dir. Ich kannte meinen Bruder ... natürlich kannte ich ihn. Er wäre froh, an seinem letzten Tag etwas Wichtiges und Sinnvolles getan zu haben." Sie lachte unsicher. „Er jammerte seit seinem schrecklichen Unfall stets, dass er nichts mehr leisten konnte und uns angeblich zur Last fiel."
Myhr unterbrach die Verbindung und wandte sich seinem Besucher zu. „Sie ist ebenso zufrieden wie der Verstorbene. Er ist nun glücklich, Teil von etwas Größerem zu sein und ohne Schmerzen weiterzuexistieren."
Savoire sagte etwas - irgendetwas - und verließ das Büro. Schon als sich die Tür schloss, erinnerte er sich nicht mehr an seine Worte. Aber das Gesicht der Frau stand ihm vor dem inneren Auge. Wie zufrieden sie gewirkt hatte.
War das noch auf normalem Weg erklärbar? Oder verfügten ESCHERS Avatare über paranormale Fähigkeiten?
Beeinflussten Astuin und Myhr nicht nur die ausgewählten
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