2392 - Die vergessene Stadt
galt es das ganze Jahr hindurch... ... mit Ausnahme der Tage der Bacchanal-Feierlichkeiten. „Die Situation der Lemurer hätte sich wohl nie verbessert, wenn es im Laufe der Jahre nicht zu Anpassungen gekommen wäre.
Die Vertreter der philosophischen Betrachtungsweise reden von Bewusstseinserweiterung. Ich sage: Wir hatten Glück. Durch harte Strahlung, die in manchen Logen der Gemenge-Stadt anmessbar ist, wurden wir eine weitere Stufe der evolutionären Treppe hinaufgeschubst. Latente Anlagen, die manche unserer Vorfahren in sich trugen, traten immer deutlicher zutage. So, wie sich unsere Augenfarbe von Braun und Schwarz zu Golden entwickelte, so kamen immer mehr Kinder auf die Welt, die in den fünfdimensionalen Raum hinausgreifen konnten und den Städtern neue Energiequellen erschlossen."
Jomo hustete angestrengt, nahm einen exakt bemessenen Schluck Wasser zu sich. „Wir Strombeuter können mit unseren Sinnen hyperenergetische Felder ertasten und sie den Reaktoren zuführen. Wir haben es geschafft, die stetig größer werdenden Verluste im Kreislauf auszugleichen und ein größer werdendes Reservoir aufzubauen. Uns ist es zu verdanken, dass heute wieder weit mehr als eine dreiviertel Million Inkar-Durner die Gänge und Logen bevölkern. Zwar bewirkt unsere Arbeit einen besonderen Begleiteffekt; die Temperatur in der Gemenge-Stadt ist deutlich angestiegen. Doch dieser Nachteil ist nichts im Vergleich zu dem, was wir den Städtern geben. Vergiss das nie, mein Junge ..."
*
Filicut Cartomyst erwachte schweißbedeckt. Der Traum und die Erinnerungen an seine Kinder- und Jugendtage waren überdeutlich gewesen.
All die Geschichten und Halbwahrheiten, die ihm Jomo erzählt hatte, hatten ein undeutliches Bild der Geschichte seines Volkes gezeichnet. Es waren immens viele Lücken übrig geblieben. Aufzeichnungen der Strombeuter, die viele tausend Jahre bis zu ihren ersten Vertretern zurückreichten, brachten ebenso wenig Aufklärung wie die Auskünfte der Durnräte.
Er stellte sich unter die Dusche, ließ sich mit erhitzter Luft befächern. Feinster Plastsand massierte die Müdigkeit aus seinem Körper. Bald schwitzte er. Ein Zusatzgebläse trieb Feuchtigkeit und die wertvollen Körpersalze seines Schweißes über geschickt verborgene Netze. Dort wurden die Ausscheidungen auf Folien getrocknet. Diese gab Filicut wie jeder andere Städter in Abständen von mehreren Tagen an Sammelstellen ab, damit sie neuerlich dem Nahrungskreislauf zugeführt werden konnten.
Apumir war tot.
Er war einer der vielen Halbwahrheiten zum Opfer gefallen, die auch sein Denken lange Zeit im Griff gehalten hatten.
Im Petrogisch-Rausch hatte er all seinen Mut zusammengenommen, hatte die Stadt und die Dunkelheit verlassen wollen.
Um Lemur zu finden...
Diese Worte bedeuteten nichts anderes, als sich in einem Schleuderstuhl der Kälte des Weltalls auszusetzen. Jenes Raums, von dem Filicut durch seine Sinneswanderungen wusste, dass es ihn gab. .
Andere Inkar-Durner konnten die Wahrheit nicht akzeptieren, dass etwas rings um die Stadt existierte. Für sie war das ganze Universum auf die 228 Logen beschränkt.
Das Dahinter gab es nicht. Durfte es nicht geben.
Filicut ließ sich einen Überblick über die Geschehnisse während der letzten paar Stunden geben. Der Informationsticker lief über seinen Handfunker.
Das Bacchanal hielt die Stadt fest im Griff.
Bis jetzt war es noch zu keinen ungewöhnlichen Vorkommnissen gekommen. Vier Inkar-Durner hatten sich selbst so schwere Verletzungen zugefügt, dass sie gestorben waren. Mehrere Zusammenrottungen radauwütiger Städter waren von aufopferungsvoll arbeitenden Durn-Polizisten zerschlagen worden.
Sexuelle und gewalttätige Übergriffe hielten sich in Grenzen. Während des Bacchanals war ohnehin jedermann für alles zu haben. Frauen und Männer fanden für jegliche Gelüste ausreichend Partner. In neun Monaten würden Tausende Kinder geboren werden. So verlief das Leben in der Gemenge-Stadt.
Sechs Inkar-Durner hatten sich mittlerweile auf den Weg gemacht, um „Lemur zu finden". Sie waren einem über Jahrtausende hinweg gepflegten Mythos gefolgt, um die Spuren ihrer Vorväter aufzunehmen.
Einer von ihnen war Apumir gewesen.
*
Erfreulicherweise fanden sich alle Mitglieder seiner Schicht rechtzeitig in Loge 57 ein. Unky sah schlecht aus, ebenso Pettonia. Beide hatten es nicht der Mühe wert gefunden, sich standesgemäß herzurichten. In diesen Tagen empfanden sie es offenbar
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