24 - Ardistan und Dschinnistan I
unerwartete Bereicherung, ein schnelles, freudiges, geistig erhobenes Lernen. Ich erfuhr an diesem Abend über die Psychologie des Orients mehr, als ich sonst in Monaten, ja vielleicht in Jahren erfahren hatte. Dazu verwandelten sich die Rauchwolken des Nordens nach und nach wieder in glühende Flammen. Die Berge warfen ihre großen, strahlenden, ewigen Worte in unser Gespräch. Kurz, es ist mir unmöglich, diesen Abend zu beschreiben. Merhameh saß nun immer mit gefalteten Händen da und sagte nichts, gar nichts. Welch ein Glück, das Kind eines solchen Vaters sein und von Jugend auf in so hoher, reiner Atmosphäre leben zu dürfen!
Ich habe Abd El Fadl einen Staatsmann genannt. Er war ein geborener Diplomat. Er hatte eine so eigene, durch ihre Güte unwiderstehliche Weise, zu erfahren, was er wissen wollte. Obgleich ich eigentlich nur sehr wenig sprach, befand er sich doch bald im Besitz alles Wissens über meine literarischen Zwecke und Ziele und über die im Abendland noch ungewohnte Art und Weise, in welcher ich diese Ziele zu erreichen suche. Ganz selbstverständlich interessierte er sich besonders auch für die Frage, ob ich die Absicht habe, auch die gegenwärtige Reise zu beschreiben. Als ich dies bejahte, erkundigte er sich:
„Wo wirst du da beginnen? Natürlich schon bei den Ussul, weil sie die fruchtbare Humuserde bilden, aus welcher sich dein Werk zu erheben hat, um emporzustreben und Blüten und Früchte zu bringen?“
„Allerdings“, antwortete ich.
„So wird der erste Teil deines Buches langweilig werden!“
„Das kann ich leider nicht vermeiden!“
„Der Humus ist ja für den Leser niemals interessant. Und tust du doch noch so sehr deine Pflicht, ihn mit den Wurzeln der kommenden Ereignisse zu beseelen, so wird man dich trotzdem nicht begreifen. Man wird dir vorwerfen, mystisch zu sein, weil jede Bewurzelung, auch die schriftstellerische, sich im mystischen Dunkel vollzieht. Man wird dich tadeln, vielleicht sogar verdächtigen. Aber laß dich das ja nicht anfechten! Du mußt hacken, düngen, pflanzen und bewurzeln, ganz gleich, ob dies denen, die keine Gärtner sind, gefällt oder nicht! Wenn sich dann die Erde öffnet und die ersten gesunden, frischen Keimblätter erscheinen, aus denen der Stamm emporzuwachsen hat, dann wird man anderer Meinung werden und dir Recht zu geben beginnen. Kennst du die Stelle, an der diese Blätter sich zeigen werden?“
„Ja.“
„Wo?“
„Hier, bei euch. Die ersten Lebenszeichen, mit denen mein Baum aus der Ussulerde steigt, seid ihr beide, du und deine Tochter, die Güte und die Barmherzigkeit. Aus ihnen wird sich in kurzer Zeit die Kraft des Stammes entwickeln –“
„Des Dschirbani?“ unterbrach er mich.
„Ja. Denn nur dieser ist es, an dem, mit dem und durch den wir andern alle wachsen werden.“
„Du hast es begriffen, du hast es begriffen!“ rief er in aufrichtiger, herzlicher Freude aus. „Laß sie tadeln, laß sie tadeln! Wie das Land der Ussul hinter dir liegt, so wird auch bald dieser Tadel hinter dir liegen. Du hast zunächst in den dumpfen Niederungen und den dunklen Wäldern des Moderlandes zu schreiben. Das einzige Licht, das es da gab, kam aus Vulkanen. Kein Wunder, daß man da dich selbst für rätselnd und für mystisch hält, während du doch nur von wirklichen, alltäglichen Dingen berichtest, die aber noch niemand kennt. Die Landenge, auf der wir uns heut und hier befinden, führt nicht nur dich, sondern auch deine Feder aus dem Land der notwendigen, natürlichen Unklarheiten hinüber in das Land des offenen, ungehinderten Sonnenscheines, wo sich das Leben nicht im Verborgenen, sondern offen und ungescheut vor Gottes Auge und dem Auge der Menschheit vollzieht. Schon morgen werden wir dieses Land betreten. Und von morgen an werden so, wie deine Leser es wünschen, sich Tausende von Gestalten und Hunderte von Taten und Ereignissen aus der Wüste der Tschoban und aus den Gefilden der Dschunub erheben, um denen, die an deinem Buch zweifeln, zu beweisen, daß du in deiner Schilderung der Ussul ganz richtig gehandelt hast und gar nicht anders konntest! Ich kenne dieses Land. Ich weiß, wie überraschend sich sogar die Wüste zu beleben versteht. Wir wissen auch sonst, was uns bevorsteht. Die Tschoban und die Ussul ziehen heran, um ihre rohen Kräfte miteinander zu messen. Die Dschunub sammeln sich von weitem, um über diese beiden herzufallen. Der Mir von Ardistan rüstet gegen den Mir von Dschinnistan. Und hier stehen vier
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