24 kurze Albträume (German Edition)
neige ich den Kopf, um besser ins Zimmer spähen zu können. Ich starre angestrengt in die Finsternis, doch da ist nichts.
Plötzlich legt sich eine Hand, kalt wie Eis, auf meine Schulter. Mit einem Schrei springe ich aus dem Bett und fliehe zum Lichtschalter, presse meinen Rücken an die Wand daneben. Wieder und wieder hämmere ich auf den Schalter, der nichts als ein leeres Klicken von sich gibt. Das Zimmer bleibt dunkel. Mein Herz droht meinen Brustkorb zu sprengen. Die Hand war da! Keine Einbildung! Ich konnte die einzelnen Glieder der Finger spüren! Meine Blicke huschen wild hin und her, versuchen, in der Dunkelheit etwas zu erkennen, doch ich bin allein. Das Zimmer ist leer, niemand da, außer mir.
Ich taste mich hektisch weiter, bis ich den Schalter im Flur erreiche, aber auch hier: Nichts. Kein Licht.
Ich weiß nicht, was ich tun soll. Früher hätte ich Julie angerufen, wenn ich nicht weiter wusste. Julie …
Auch das Küchenlicht reagiert nicht. Erneut berührt mich ein zugiger Hauch und fährt mir sanft, fast spöttisch, durchs Haar. Ich stürze auf die Besteckschublade zu und wühle fieberhaft nach dem Fleischmesser. Endlich ertaste ich den beruhigenden Griff, presse die Klinge an meine Brust, schließe die Augen und zähle langsam bis zehn. Als ich sie öffne, ist alles wie vorher. Und ich spüre die Blicke wie Nägel, die sich in meinen Leib bohren.
Ich bleibe stehen und warte. Ewigkeiten verstreichen, doch nichts geschieht.
Ich zögere, dann greife ich nach der halb heruntergebrannten Kerze, die ich im Mondlicht auf der Fensterbank liegen sehe, und zünde sie an. Das warme Licht schenkt mir neuen Mut. Ich halte sie hoch, kehre in mein Zimmer zurück. Die Spiegel auf der Kommode werfen den Lichtschein tröstend zur mir zurück. Ich atme tief ein, ehe ich die Kerze auf den Tisch stelle. An Schlaf ist nicht zu denken.
Um mich abzulenken, ziehe ich wahllos ein Buch aus dem Regal und kauere mich damit in eine Ecke, das Messer griffbereit auf meinen Schoß. Es ist Julies Tagebuch.
Die Erkenntnis lässt mich zaudern. Ich habe es aufgehoben, ja, aber lesen wollte ich es eigentlich nie. Doch Sehnsucht und Angst überwiegen meinen Argwohn und ich schlage es auf. Das Licht der Kerze tanzt gespenstisch über die Seiten.
Schnell nehmen Julies Worte mich an die Hand. Schon sitzt sie neben mir, doch mein Trost bleibt aus. Ihre Schrift ist fahrig:
»Irgendetwas ist hier, hier in meiner Wohnung! Unsichtbare Hände greifen nach mir. Als ich erwachte, lag eine auf meinem Herzen. So kalt, dass ich dachte, es würde gleich stillstehen, als müsse ich sterben. Der Strom geht nicht, ich kann nicht einmal Hilfe rufen, das Telefon ist tot. Irgendetwas ist hier. Ich halte mich schon für verrückt, aber ich glaube, es ist das Bild…«
Ich lasse das Buch fallen. Mein Blick schnellt hoch, geradewegs auf die Brüder. Ich erstarre. Sie drehen mir nicht länger den Rücken zu, sondern haben sich mir zugewandt, blicken direkt in mein Gesicht. Sie sind nicht die Kinder, die sie von hinten zu sein schienen. Ihre Gesichter sind entstellte Fratzen.
Und während die Zwillinge mit kaltem Grinsen aus dem Rahmen steigen, erkenne ich in den Fenstern der Ruine hinter ihnen plötzlich Julies zum Schrei erstarrtes Gesicht.
Dörte Müller
Der Fluch der Bäckersfrau
Meine Geschichte beginnt an einem verregneten Sonntagmorgen im Februar. Ich war umgezogen und richtete gerade meine neues Zuhause ein. Die Wohnung war ein regelrechter Traum: wundervoll gelegen mit weitem Blick über Felder und Wiesen. Doch an diesem Tag sah die Welt trist und grau aus und es schien wieder einmal ein Winter zu sein, der niemals enden wollte. Nach einer anstrengenden Arbeitswoche beschloss ich an diesem Sonntag, das Renovieren sein zu lassen und mir ein paar Brötchen zu gönnen. So radelte ich durch die Einöde
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