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24 kurze Albträume (German Edition)

24 kurze Albträume (German Edition)

Titel: 24 kurze Albträume (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regina Schleheck , Oliver Henzler , Michael Rapp , Bernhard Giersche
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Ka­bulke auf die höchs­te Trep­pen­stu­fe. Er über­blick­te nun das etwa zehn mal zehn Me­ter mes­sen­de Pla­teau der Py­ra­mi­de. Am vor­de­ren Rand der Fläche, dem Volk zu­ge­wandt, stand ei­ner, den Ka­bulke für einen Geist­li­chen hielt. Der Mann riss die Arme gen Him­mel und sprach einen be­schwören­den Sings­ang. Bei dem Maya-Pries­ter be­fand sich der Ge­fan­ge­ne, der eben noch vor Ka­bulke ge­stan­den hat­te. Er lag auf ei­ner Bah­re aus mas­si­vem Stein. Sei­ne Hän­de und Füße wur­den von kräf­ti­gen Män­nern ge­hal­ten – warum, er­fuhr Ka­bulke schnell. Un­ver­se­hens un­ter­brach der Pries­ter sei­nen Ge­bets­ge­sang und stieß dem Un­glücks­wurm mit Wucht eine schwarz­grün schim­mern­de Klin­ge in die Brust. Er schnitt, wühl­te und hielt das Herz des Ge­fan­ge­nen in die Höhe. We­ni­ge Se­kun­den später schlug eine Wa­che dem To­ten mit ei­nem kräf­ti­gen Axt­hieb den Kopf ab. Der Pries­ter nahm den Kopf und warf ihn die vor­de­re Trep­pe der Py­ra­mi­de hin­un­ter, dem ver­zückt schrei­en­den Mob ent­ge­gen.
     
    Je­der Le­bens­mut ver­ließ Ka­bulke. Sei­ne Knie wur­den schwach. Er sank zu Bo­den, krümm­te sich, wim­mer­te. Stock­schlä­ge wa­ren die Fol­ge. Ka­bulke er­trug sie, statt sich zu er­he­ben. Man schleif­te ihn zum Op­fer­platz und warf ihn auf den blu­ti­gen Stein. Wa­chen hiel­ten ihn an Hän­den und Füßen. Der Pries­ter ver­fiel er­neut in mo­no­to­nen Sings­ang. Ka­bulke blick­te in den Him­mel und hoff­te, aus ei­nem bö­sen Traum zu er­wa­chen.
    Plötz­lich ver­än­der­ten sich die Schreie des Pö­bels. Fin­ger wie­sen zum Him­mel. Rau­nen setzte ein. Ein­zel­ne Freu­den­ru­fe er­klan­gen, die auch das Op­fer­pla­teau er­reich­ten. Der Pries­ter blick­te gen Him­mel, um das Wun­der, das ein­ge­tre­ten war, zu be­grüßen. Die Wol­ken­wand, die eben noch dro­hend über dem Ort ge­han­gen hat­te, riss auf. Hin­ter ihr zeig­te sich ein freund­li­ches, hel­les Blau. Die ers­ten Son­nen­strah­len bahn­ten sich ih­ren Weg zur Erde und wärm­ten sie.
    Mit dem­sel­ben Gleich­mut, mit dem man ihn auf den Op­fers­tein ge­wor­fen hat­te, be­gann man nun, Ka­bulke aus sei­ner miss­li­chen Lage zu be­frei­en.
     
    Die Trag­wei­te die­ses glück­li­chen Zu­falls wur­de er­heb­lich da­durch ein­ge­schränkt, dass im sel­ben Au­gen­blick in fer­ner Zu­kunft ein Kühl­schrank sei­nen Geist auf­gab.
     

Oli­ver Henz­ler
     
    Lit­faß­säu­le
     
    Um die­ses kreis­run­de Ding habe ich schon im­mer einen großen Bo­gen ge­macht.
    Mei­ne Angst vor der Lit­faß­säu­le wur­de mir von mei­nem Va­ter in die Tie­fen mei­nes Be­wusst­seins ein­ge­pflanzt. Er hat­te mir ver­bo­ten, mich der Säu­le wei­ter zu nähern, als es un­be­dingt sein muss­te. Eine be­frie­di­gen­de Er­klärung für die­se An­wei­sung habe ich von ihm nie er­hal­ten, und die Ge­fahr, die er bei der Un­ter­schrei­tung ei­nes Min­destab­stands her­auf­be­schwor, war le­dig­lich ab­strakt for­mu­liert und für mich nicht greif­bar. Doch wie die Din­ge eben sind, wenn man ein klei­ner Jun­ge ist; man glaubt an das, was ei­nem die El­tern mit auf dem Weg durch das Le­ben ge­ben. Zu­min­dest erst ein­mal. Ich weiß selbst nicht, wie mein Va­ter auf den Ge­dan­ken ver­fal­len war, an dem Ding könn­te et­was Bö­ses sein. Was für eine Ge­fahr konn­te von ei­ner run­den Ze­ment­säu­le mit ei­nem schlich­ten Be­ton­sockel und ei­nem Dach, das ent­fernt an eine Pu­del­müt­ze er­in­ner­te, auch aus­ge­hen? Sie stand be­we­gungs­los auf dem Bür­gers­teig, ohne je­mals auf­dring­lich zu sein. Stumm ver­such­te das Bau­werk die Auf­merk­sam­keit der Au­to­fah­rer und Passan­ten auf sich zu len­ken, was ihm bei mir mit fort­schrei­ten­dem Al­ter auch ziem­lich gut ge­lang. Plötz­lich war Wer­bung für Whis­key und Zi­ga­ret­ten in­ter­essant. Auch die Ki­no­pla­ka­te tra­fen mei­nen Nerv. Oft stan­den wir nun vor dem Zy­lin­der und in­for­mier­ten uns über die schö­nen Din­ge des Le­bens, auch wenn wir sie zu­meist nicht ha­ben konn­ten. 
    Ich war ge­ra­de 16, als es pas­sier­te. Mein al­ter Herr soll­te auf eine grau­sa­me Wei­se Recht be­hal­ten, als

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