24 kurze Albträume (German Edition)
zu dem nächst größeren Ort und hielt bald vor einer Bäckerei, die hell erleuchtet war. Ich stieg von meinem Rad und betrat den Laden. Ein kleines Glöckchen kündigte meinen Besuch an und bald darauf hörte ich schon die schlurfenden Schritte der Bäckersfrau. Als ich sie sah, gefror mir das Blut in den Adern. Irgendetwas stimmte mit dieser Frau nicht. Sie sah mich wütend und mit verquollenen Augen an. Ihre ungepflegte Dauerwellenfrisur stand wild nach allen Seiten ab, ihr Blick war kalt und geistesabwesend. Kein Gruß kam von ihren schmalen, eng aufeinander gepressten Lippen. Plötzlich war ich froh, dass ich nicht hier arbeiten musste und einen interessanteren Job hatte als diese Frau. Ich war nämlich Grafikdesignerin, arbeitete in einem schicken Büro und musste nicht sonntags in einem kleinen miefigen Laden stehen. Plötzlich, ich weiß nicht genau wieso, hatte ich das Gefühl, dass diese Frau mich durchschaut hatte. Ich schämte mich für meine Gedanken, eine Gänsehaut lief mir über den Rücken. Doch ich fasste mich schnell wieder und bestellte sieben Brötchen. »2 Euro 10!« knurrte sie überaus unfreundlich und packte die Brötchen in eine Tüte. Schnell reichte ich ihr einen fünf Euro Schein. Kaum hatte ich das Wechselgeld in den Händen, lief ich aus dem Laden und radelte nach Hause. »Wer kann schon Gedanken lesen!«, sagte ich mir im Stillen und versuchte mich zu beruhigen.
Einige Wochen waren inzwischen vergangen. Ich hatte meine Wohnung renoviert und den Vorfall im Bäckerladen schon fast verdrängt, da bekam ich irgendwann im März einmal wieder Lust auf Sonntagsbrötchen. Inzwischen war es schon etwas wärmer und fast fröhlich radelte ich los. Es dauerte auch nicht lange, da stand ich wieder vor der Bäckerei.
»Vielleicht wird ja heute alles besser!«, versuchte ich mir einzureden und betrat fröhlich den Laden. Wieder ertönte die kleine Glocke und wieder erschien die unheimliche Frau mit der Dauerwelle und dem missmutigen Gesicht. Sie schien mir fast noch unfreundlicher zu sein als beim letzten Mal. Ich bekam eine Gänsehaut und bestellte mit zittriger Stimme meine sieben Brötchen. Während die Bäckersfrau die Brötchentüte packte, wühlte ich in meinem Portemonnaie herum und versuchte, das Kleingeld zusammenzuzählen. Doch ich hatte nicht genügend Münzen dabei. Wie konnte das möglich sein? Ich besaß nur einige Cent und einen Fünfzig-Euro-Schein! »2 Euro 10!«, hörte ich die alte Frau sagen und schaute in zwei stahlgraue Augen, deren Blicke mich förmlich durchbohrten. Nervös sah ich mich um. Kamen nicht auch andere Leute hier in diesen Laden? Wieso liefen auf der Straße keine Passanten herum? Ich zitterte und hüstelte. Schließlich musste ich es ihr sagen. »Ich habe nur einen fünfzig Euro Schein!« Meine Stimme klang ungewohnt heiser. »Kann nicht wechseln!«, raunte die Frau. »Muss ich anschreiben. Name und Anschrift?« Ich nannte ihr meinen Namen und meine Adresse und hatte das merkwürdige Gefühl, ihr damit meine Seele verkauft zu haben. Dann stürmte ich aus dem Laden.
Eine Woche später radelte ich zum dritten Mal in den kleinen Ort. Diesmal war ich gut vorbereitet. Ich hatte das Geld in einen beschrifteten Umschlag eingetütet und zugeklebt, wie damals in der Grundschule. Nachdem ich mein Fahrrad abgestellt hatte, öffnete ich mutig die Ladentür. Das Glöckchen bimmelte. Doch dieses Mal erschien nicht die verhärmte Bäckersfrau, sondern ein kleines rothaariges Mädchen von ungefähr sieben Jahren. Ich war überglücklich. »Hallo!«, sprudelte es aus mir heraus. »Kannst du diesen Umschlag deiner Omi geben? Das ist das Geld, was ich ihr noch schulde!« Da fing das kleine Mädchen an zu heulen. »Meine Omi ist letzte Nacht gestorben.« Ich
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