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24 kurze Albträume (German Edition)

24 kurze Albträume (German Edition)

Titel: 24 kurze Albträume (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regina Schleheck , Oliver Henzler , Michael Rapp , Bernhard Giersche
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er mich vor dem Ding ge­warnt hat­te.
    An je­nem Mor­gen im März 1981 ver­ließ er wie im­mer das Haus, um zur Ar­beit zu ge­hen. Dort kam er aber nie an. Schließ­lich wur­de er ge­fun­den – vor der Lit­faß­säu­le.
    Er lag dort und gab ein Bild ab, wie es Kin­der nie­mals se­hen soll­ten. Noch jah­re­lang träum­te ich von dem ge­spal­te­nen Brust­korb und dem vie­len Blut rings­um. Am Schlimms­ten aber traf mich der ab­ge­hack­te rech­te Arm. Nie wer­de ich das zur Hälf­te in ei­ner Blu­men­ra­bat­te lie­gen­de Kör­per­teil ver­ges­sen, des­sen Hand mich der­einst ge­strei­chelt und ge­züch­tigt hat­te
    Das Le­ben ging wei­ter, auch wenn es mir nicht er­spart blieb, je­den Schul­tag den Ort des Ver­bre­chens, den ich nun als den Ab­scheu­lichs­ten auf der Welt be­trach­te­te, zwei­mal zu pas­sie­ren. Dazu trug auch der Um­stand bei, dass nie fest­ge­s­tellt wer­den konn­te, was mit Papa an je­nem Mor­gen ge­sche­hen war. Die Po­li­zei fahn­de­te zwar in­ten­siv, doch lie­ßen sich fast kei­ne An­halts­punk­te feststel­len. Nie­mand war Zeu­ge des Vor­falls ge­we­sen, was selt­sam ge­nug war, denn es herrsch­te Be­rufs­ver­kehr und die Au­tos hat­ten sich Stoß­stan­ge an Stoß­stan­ge dem Stadt­zen­trum ent­ge­gen­ge­quält. Und jene, die eine Aus­sa­ge mach­ten, lo­gen den Be­am­ten aus Gel­tungs­sucht et­was vor oder wa­ren schlicht ver­rückt. Auch die Spu­ren­la­ge war dünn. An der Lei­che konn­ten au­ßer der Tat­sa­che ei­ner Ein­wir­kung mit ei­nem schar­fen Ge­gen­stand, ver­mut­lich ei­ner Axt, kei­ne auf­schluss­rei­chen Feststel­lun­gen ge­trof­fen wer­den. Schließ­lich ge­riet der Vor­fall mehr und mehr in Ver­ges­sen­heit. 
    Auch mei­ne ge­pei­nig­te See­le kam ir­gend­wann zur Ruhe. Nach dem Ab­itur ging ich fort, um zu stu­die­ren. Die Lit­faß­säu­len in der Groß­stadt be­rei­te­ten mir kei­ne Angst. Es wa­ren nur große klo­bi­ge Zy­lin­der, die mich auf das kul­tu­rel­le Le­ben in der Me­tro­po­le auf­merk­sam mach­ten und da­für war ich ih­nen dank­bar.
    Als mei­ne Mut­ter starb, kehr­te ich in mein El­tern­haus zu­rück. Die Ge­schäf­te lie­fen schlecht und da­her kam mir das miet­freie Woh­nen in ei­nem Rei­hen­haus ge­ra­de recht. Über ein Fahr­zeug ver­füg­te ich nicht mehr, der Un­ter­halt war ein­fach zu teu­er ge­we­sen. Die­ser Um­stand brach­te es mit sich, dass der täg­li­che Weg zur Ar­beit mich er­neut an je­ner Säu­le vor­bei­führ­te, die ich so gründ­lich aus mei­nem Le­ben ge­stri­chen hat­te. Als ich sie zum ers­ten Mal wie­der er­blick­te, schlug ich un­will­kür­lich die Hän­de vor das Ge­sicht und be­kam wei­che Knie. Der Schmerz al­ter Zei­ten stieg in mir auf und ich fühl­te mich wie­der als der schutz­lo­se Jun­gen von da­mals. Ich zwang mich, wei­ter­zu­ge­hen, doch es war sinn­los. Der run­de Kör­per zog mich ma­gisch an und schon streck­te ich mei­ne Hand nach vor­ne, um ihn zu be­rühren. Wahr­schein­lich woll­te ich mich mit die­ser Ges­te ver­si­chern, dass es sich nur um einen leb­lo­sen Ge­gen­stand han­del­te, auf den Pla­ka­te mit ei­nem Ei­mer Kleis­ter und ei­nem Pin­sel ge­klebt wer­den konn­ten. Kaum hat­te ich die glat­te Ober­fläche be­rührt, als mich eine Art Strom­schlag traf. Ich zuck­te zu­rück, doch mei­ne Hand haf­te­te an der Säu­le. Lang­sam form­ten sich in mei­nem Kopf ein­zel­ne Bild­fol­gen zu ei­nem ein­heit­li­chen Gan­zen und ich sah, was der­einst an die­sem Ort ge­sche­hen war. Auch mein Va­ter war nicht um­hin ge­kom­men, die stoff­li­che Sub­stanz der Säu­le zu un­ter­su­chen. Da­bei stand er un­ter­halb ei­ner Ki­no­film­wer­bung. Auf dem Pla­kat, des­sen Größe sich in­ner­halb der da­mals üb­li­chen eher ge­rin­gen Ab­mes­sun­gen hielt, be­fand sich Jack Tor­ran­ce, be­waff­net mit ei­ner Axt, der in ir­gend­ei­nem gott­ver­las­se­nen Ho­tel mit­ten im Win­ter mit der schar­fen Kan­te eine aus Span­plat­ten beste­hen­de Tür nie­der­mach­te. Ich sah in das angst­ver­zerr­te Ge­sicht von Wen­dy auf der an­de­ren Sei­te der Tür und hör­te sie schrei­en. Auch Papa be­gann zu schrei­en, laut und un­ar­ti­ku­liert. Jack

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