24 kurze Albträume (German Edition)
Schreiben kam. Alle anderen Gedanken waren schier aus seinem Geist gewichen. Jeder Ansatz drehte sich nur noch um den anderen Autoren, der Mr. Pendergasts Werke eins zu eins nachzuahmen schien.
Und als ob dieses noch nicht genügte, erfuhr der einstmals erfolgreiche Schriftsteller von seinen Bekannten, dass ihm der Andere auch noch bis aufs Haar zu gleichen schien.
"Wie sollte das möglich sein?", fragte sich Mr. Pendergast daraufhin. Dies könne er sich aber ja selbst anschauen, rieten ihm seine Nachbarn von gegenüber. Der Andere wäre nämlich erst heute Morgen in die bis dahin leerstehende Hälfte des Doppelhauses eingezogen, das der ehemals unübertroffene Autor schon seit Jahren bewohnte.
In dieser Nacht war Mr. Pendergasts Schlaf noch unruhiger als die Tage zuvor. Immer wieder warf er sich hin und her, während er träumte, der Andere würde auf seiner Seite des Hauses umherschleichen und versuchen dem Schlafenden in den Kopf zu schauen. Dies hörte erst auf, als der Morgen bereits zu grauen begann.
Mühsam schleppte sich N.E. Pendergast mit steifem Nacken und schmerzenden Gliedern in sein Badezimmer, um sich zu rasieren. Dabei schoss ihm die fixe Idee durch den Kopf, dass der Andere genau in diesem Moment nun auch vor seinem Spiegel stehen könnte - genau auf der Rückseite der Wand, an dem sein Eigener hing – und was, wenn sein Kontrahent jetzt ebenfalls dort hineinstarrte? Was, wenn sie sich völlig gleich ausschauend dabei ansahen?
Wen wundert es, dass N.E. Pendergast sich also fragte, was in ihrer beider Köpfe denn nun gerade vor sich ginge. Dann sah er bedächtig langsam auf seine linke Hand mit dem scharfen Rasiermesser hinab und schaute einfach nach …
Maximilian Weigl
Der Körperer
Am 27. März dieses Jahres wurde in der Nähe von S. ein Jäger als vermisst gemeldet. Seine Frau sagte, er sei in den letzten Wochen jeden Tag etwas länger bei der Arbeit im Wald geblieben. Sie sprach nicht aus, dass es zwischen den beiden Probleme gab, doch war dies der ermittelnden Polizeibehörde offensichtlich. Diese hielt es für möglich, dass der Vermisste sich in einem Wirtshaus auf andere Gedanken hatte bringen wollen, und klapperte die umliegenden Dörfer ab. In keinem jedoch fand sich eine Spur des Jägers.
Dadurch vergingen zwei Tage, bis man beschloss, mit einer Staffel aus acht Mann das Jagdgebiet des Jägers F. zu durchkämmen, jetzt endlich unter dem Verdacht, ihm könnte etwas zugestoßen sein. Die Suche dauerte zwei Tage; dann fand man den Jäger – auf einem Hügel vier Kilometer außerhalb seines Reviers. Im Obduktionsbericht stand später, der Jäger, ein Mann im Alter von vierundvierzig Jahren, habe auf der Jagd einen Herzinfarkt erlitten. Es sei ihm nicht mehr rechtzeitig gelungen, mit seinem Handy nach Hilfe zu rufen. Die Akte wurde damit – jedenfalls offiziell – geschlossen. Die eigenartige Haltung, in der man den Jäger am Ort seines Todes aufgefunden hatte, wurde nicht in Frage gestellt.
Der Jäger lag bäuchlings auf dem Boden, das Gewehr angelegt, die Augen starr über Kimme und Korn auf den Hügel gegenüber gerichtet. Der Finger war eng um den Abzug gekrümmt, als habe er mit letzter, schwindender Kraft versucht abzudrücken. Es gelang den Polizisten nicht einmal mit Gewalt, den Jäger aus seiner Starre zu lösen. Der leitende Polizeibeamte T. schrieb dazu in sein persönliches Notizbuch: Es scheint so, als habe die Totenstarre noch im Augenblick des Todes eingesetzt. Oder wie sonst ist es zu erklären, dass der Jäger nicht zuerst erschlaffte?
Durch einen unvorhergesehenen, als unglücklich zu bezeichnenden Umstand ist dieses Notizbuch in meine Hände gelangt. Ich habe es der ermittelnden
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