24 kurze Albträume (German Edition)
eines Turmes? Prof. M.]
»Wer sind Sie?« (Niemand antwortet. R scheint mit jemandem zu sprechen, der sich einige Meter von ihm entfernt befindet; es ist mehr ein Rufen als ein Sprechen. Zwei Sekunden vergehen.)
»Ich … gerade eben …« (Vier Sekunden vergehen.)
»Ich verlasse … wieso bist du …« (Tonstörungen.)
(Tonstörungen) »… Messe/Messer (Wortlaut ungenau) …« (schwere Tonstörungen)
Ich habe den Hirsch aus den Augen verloren. [Anmerkung: Es scheint, als habe R. das Gespräch gar nicht wahrgenommen. Er geht auch im Weiteren nicht darauf ein. Prof. M.] Ich … ich hatte das Gefühl, dass er mir was sagen … wollte. Ich kann … mein linker Arm ist … irgendwie … er fühlt sich schwerer an. Als würde mich jemand zurückziehen. … Ich glaube, ich bin vorhin an einem Gebäude vorbeigekommen. Ich will … zurückgehen und … irgendwas ist mit meinem Arm. Vielleicht sollte ich … (Ein dumpfer Aufschlag) [Anmerkung: An dieser Stelle hat R. offenbar das Aufnahmegerät fallen gelassen. Seine Stimme wird ferner. Er scheint Mühe zu haben, vorwärtszukommen. Eine Analyse seiner Schrittfolge lässt den Schluss zu, dass er plötzlich humpelte.] … war ein Gebäude. Verdammt, wo ist …? Ich hab es … am Gürtel gehabt. Ich … [Anmerkung: Es fällt ihm schwer, zu sprechen. Es wird zum Stammeln, während er wegläuft.]
(Im Weiteren: die Stille des Waldes bis zum Ende des Aufnahmemediums. Bei Minute 93 hört man Schritte. Sie kommen nah an das Gerät heran, verweilen einen Augenblick und gehen dann weiter.) [Anmerkung: Niemand, den ich gefragt habe, konnte sich genau festlegen, ob es sich bei den Schritten um einen Menschen oder ein Tier gehandelt haben muss, da die Schrittabfolge etliche ungewöhnliche Merkmale aufweise. Nach dem Zoologen Dr. E. W. weisen die Schritte eine ungleichmäßige Charakteristik auf, die so nur möglich gewesen wären für ein »Wesen mit drei Beinen«. Genauere Analysen stehen noch aus. Prof. M.]
Nachdem ich das Notizbuch meines Freundes R. erhalten und studiert hatte, war ich mir zuerst unsicher, was ich damit anfangen sollte, zumal mir R. kein aussagekräftiges Anschreiben beigefügt hatte. Die Anhaltspunkte, von denen er auf der Tonaufnahme sprach, konnte ich jedenfalls nicht als solche identifizieren. Ich vermag daher nur zu spekulieren, für welche eigenartige Geschichte er sich in den letzten Monaten interessiert hatte.
Als ich einige Tage später in der Zeitung vom Fund einer Leiche im Wald von S. las, rief ich die zuständige Polizeibehörde an und bat um Auskunft; außer einer Bestätigung der Identität des Toten (es handelte sich tatsächlich um meinen Freund R.) gab man mir jedoch keine Auskunft. Weitere Anfragen bezüglich der Umstände seines Todes wies man schroff ab.
Mehrere Tage später erhielt ich ein Paket ohne Absender. Inhalt war eine Kassette, bei der es sich um die Aufzeichnungen meines Freundes R. in der Nacht seines Todes handelte. Wie viele Male habe ich es mir angehört? Ich habe sogar einige Bekannte hinzugezogen, um eine minutengenaue Analyse der Aufnahmen vorzunehmen. Wir machen Fortschritte.
Neben all den Erkenntnissen jedoch, die wir dank unserer Nachforschungen hatten, bleiben vier Fragen übrig, die wir bisher nicht beantworten konnten.
Erstens: Wer schickte mir das Aufnahmegerät? (Vermutung: Ein Polizeibeamter, der R. persönlich kannte und von seiner Verbindung zu mir wusste. Vielleicht ein Bekannter des T.?)
Zweitens: Mit wem sprach R. im Wald?
Drittens: Um welches Tier (Wesen) handelt es sich bei Minute 93 der Aufzeichnung?
Viertens: Wer/was ist der Körperer?
Brigitte Krächan
Das siebte Geißlein
Sie ließen ihre Schlitten auf
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